Kanonisches Recht

[544] Kanonisches Recht oder Kirchenrecht (lat. jus ecclesiasticum) heißt die Gesammtheit der Rechtsbestimmungen (s. Kanon) über die innere Einrichtung der Kirche, deren Verhalten gegen den Staat und gegen andere Kirchen, sowie die Wissenschaft von eben diesen Rechtsbestimmungen. Selbständig ausgebildet hat sich das kanonische Recht während des Mittelalters durch die eigenthümliche Stellung, welche die katholische Kirche den europ. Staaten gegenüber einnahm und durch die Obergewalt, welche dieselbe über alle mit der Religion in näherer oder entfernterer Beziehung stehende Verhältnisse in Anspruch nahm. Es beruht dasselbe auf Bibel und Tradition (Überlieferung) und das Corpus juris canonici (s. Corpus juris) wird als Ergänzung der bürgerlichen Gesetzgebung auch in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten in Anwendung gebracht. Es versteht sich von selbst, daß das kanonische Recht in der angegebenen Gestalt nur für Katholiken Gültigkeit hat; Luther hat dasselbe zu Wittenberg öffentlich verbrannt, und in den protestantischen Staaten gibt es kein der Staatsgesetzgebung selbständig gegenüberstehendes Kirchenrecht, sondern die kirchlichen Angelegenheiten machen einen Gegenstand der Staatsgesetzgebung selbst aus. Hiermit hängt auf das engste zusammen, daß, während die katholische Kirche ein die Grenzen der einzelnen Staaten überschreitendes Ganze bildet, die evangelische oder protestantische Kirche nicht ein solches bildet, sondern in ebenso viele Landeskirchen zerfällt, als Staaten sich zu derselben bekennen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 544.
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