[605] Quarantaine und Contumaz nennt man sowol die Zeit als auch die in Hafenplätzen und an den Grenzen der europ. Türkei beständig bestehenden, außerdem zuweilen vorübergehend eingerichteten Anstalten, während der und wo Schiffe mit ihren Ladungen, Mannschaften und Reisenden oder zu Lande gehende Waarentransporte und Reisende mit ihren Begleitern und Fuhrwerken, wenn sie von Orten kommen, wo die Pest, das gelbe Fieber oder eine andere gleich ansteckende und verheerende Seuche wüthet oder überhaupt heimisch ist, einer Beobachtung in Betreff des Gesundheitszustandes der Menschen, der Lüftung, reinigenden Räucherungen und andern Maßregeln zur Entfernung und Vertilgung des etwa mitgebrachten Krankheitsstoffs in den Waaren und bis auf die Papiere und Kleider der Reisenden unterworfen werden, bevor ihnen der freie Verkehr mit dem Orte ihrer Bestimmung, der Eingang in ein Land oder auch nur der Durchgang gestattet wird. Die Erfahrung, daß die orientalische Pest nur durch die Berührung des Peststoffes an Menschen oder Sachen sich mittheile, führte zuerst in den Häfen des Mittelmeers die Anordnung von Quarantainen herbei, um die Ansteckung abzuwehren, und die jetzt geltenden allgemeinen Bestimmungen und Einrichtungen für diesen wichtigen Zweig der Gesundheitspolicei sind folgende. Zuerst muß sich jedes in einen Hafen einlaufende Schiff über den Ort, woher es ursprünglich kommt und darüber, wo es etwa unterwegs angelegt hat, durch seinen Gesundheitspaß oder sein Patent ausweisen, auf dem von dem Consul der Nation, welcher es angehört, und von Gesundheitsbehörden der berührten Orte bescheinigt ist, wie daselbst der Gesundheitszustand war und für dessen Richtigkeit der Schiffscapitain noch persönlich haften muß. Steht in jenem Gesundheitspasse, daß der Ort gesund war, so heißt er patente nette, ist aber bemerkt, daß dort oder in der Nähe die Pest herrschte, patente brute. Von diesen und andern Umständen, ob z.B. Kranke am Bord sind oder nicht und ob die Ladung in Waaren besteht, die den Krankheitsstoff leicht fortpflanzen, wie z.B. Wolle und Pelzwaaren, oder aus weniger und gar nicht dafür empfänglichen Waaren, wie Gewürze und Flüssigkeiten, hängt das Verfahren ab, welches im Betreff eines solchen Fahrzeugs beobachtet wird. Kommt es aus der Levante, so muß es z.B. in Marseille oder auf Malta im günstigsten Falle 18 Tage Quarantaine halten, d.h. es muß an einem bestimmten Orte im Hafen abgesondert ankern, [605] bekommt Gesundheitswachen an Bord und Wachtboote zur Seite, welche weder Menschen noch Waaren davon ans Land lassen und die etwaige Abgabe von Papieren, die sofort in Essig getaucht und geräuchert werden, sowie Unterredungen mit den Reisenden nur unter Beobachtung der dafür bestehenden Vorschriften aus einer gewissen Entfernung gestatten. Schiffe mit weniger günstigen Gesundheitspässen müssen 20–40 Tage Quarantaine halten und werden mit ihren Ladungen sorgfältiger gereinigt und gelüstet. Kommt während der Quarantainezeit eine Erkrankung am Bord vor, so beginnt dieselbe sofort und verlängert von Neuem, was sich mit jedem neuen Erkrankungsfalle wiederholt. Alle Personen, die mit der Reinigung und anderer Arbeit, sowie mit etwaiger Pflege der Kranken dabei zu thun haben, müssen ebenfalls Quarantaine halten. In den größern Häfen sind hierzu besondere, durch Lage und Mauern völlig abgesonderte Quarantainegebäude oder Lazarethe vorhanden, in welchen Reisende in abgesonderten Zellen unter strenger Beaufsichtigung ihre Quarantaine (was vierzig heißt und zum Namen des Ganzen wurde, weil man anfangs stets 40 Tage Contumaz halten mußte) halten können und wo in besondern Räumen und auf geeigneten Plätzen auch die Lüftung und Reinigung der Waaren vorgenommen wird. Erkrankt Jemand im Quarantainehause, so wird er sogleich nach der für Kranke ausschließlich bestimmten Abtheilung gebracht und nach Anordnung des Quarantainearztes verpflegt, dabei aber jede Berührung des Kranken vermieden. Seine Bedürfnisse werden ihm an Stangen gereicht und auch Befragungen, etwaige Unterhaltungen mit einem Geistlichen, Gerichtspersonen u.s.w. finden nur hinter einem Gitter oder in einer sonst abgemessenen Entfernung vom Kranken statt. Stirbt Jemand in der Quarantaine an einer pestähnlichen Krankheit, so wird er mittels eiserner Haken auf einen kleinen Wagen geschafft, zu einer sehr tiefen Gruft gefahren und diese sodann mit Kalk verschüttet. Schiffe aus erklärt pestkranken Orten werden einer Quarantaine von 80–100 Tagen unterworfen und an vielen Orten gar nicht zugelassen, daher sie genöthigt sind, in andern Häfen ihre Contumaz zu bestehen. Berühmt durch die glückliche Abwehr der Pest sind die östr. Contumazanstalten längs der Grenze gegen das osman. Reich in Europa, wo alle aus demselben kommende Reisende, Waaren u.s.w. je nach dem jenseitigen Gesundheitszustande eine längere oder kürzere Quarantaine halten müssen und die ebenfalls aus geeigneten Gebäuden und Räumen mit einem Personal von Ärzten und eigens abgerichteten Beamten bestehen. Nur an den Quarantaineorten ist der Übergang in die kais. östr. Staaten gestattet, sonst überall. streng verboten und selbst mit Lebensgefahr verbunden.