Theosophie

[410] Theosŏphie, d.h. Gottesweisheit, ist der Ausdruck für die höchste Stufe der mystischen Gotteserkenntniß, einer Art Religionsphilosophie, die vermöge einer angenommenen geheimnißvollen Verbindung der Seele mit Gott die eigenste und tiefste Erkenntniß seines Wesens und seines Verhältnisses zur Welt zum Zweck hat. Theosophen sind demnach Solche, die nicht auf dem Wege eines vernünftigen Denkens, sondern in dem Zustande einer wesentlichen Vereinigung des Geistes mit Gott die Quelle der vollkommensten Religionserkenntniß zu finden vermeinen. Wie nämlich das Unsichtbare, Geheimnißvolle und Übersinnliche der Religion nur im Gefühl geahnet und wahrgenommen werden kann und den Vorstellungen und Begriffen hiervon das Zeugniß der Sinne abgeht, so sieht sich dagegen der Theosoph in einen Zustand geistiger Überschwenglichkeit versetzt, wo ihm Gott aus seiner Verborgenheit hervortritt und die unsichtbare Welt der Religion wie mit geistigen Sinnen von ihm erkannt und wahrgenommen wird. Mit der Philosophie hat die Theosophie nur Das gemein, daß sie die höchste Erkenntniß des Geistes und seines Verhältnisses zu Gott sich zum Ziel setzt, aber indem es in ihr keine Grundsätze der Erkenntniß gibt und die Einbildungen der Phantasie die Schranken des Denkens überschreiten, so ist sie ihrer ganzen Richtung nach beiweitem mehr eine Erscheinung auf dem Gebiete der Dichtung als der Wissenschaft und Philosophie. Dennoch hat die Theosophie, wie sie immer ein lebendiges, religiöses Gefühl voraussetzt, eine tiefe Beziehung zur religiösen Wahrheit, die auch von der Wissenschaft an den Schriften theosophischen Inhalts anerkannt wird, die aber wegen der darin vorkommenden Träumereien und Einbildungen von nicht wissenschaftlich Gebildeten ohne die Gefahr derselben Schwärmerei nicht wol gelesen werden können. Am reichsten ist die Theosophie von den phantasiereichen Morgenländern angebaut worden und als eine besondere Art derselben gibt es hier den Ssufismus (s.d.); doch haben auch im Abendlande zu verschiedenen Zeiten Männer als Theosophen sich berühmt gemacht, wie Theophrastus Paracelsus, Jakob Böhme, Swedenborg u.a.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 410.
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