[160] Gefühl bezeichnet zunächst denjenigen Sinn, durch welchen wir Gegenstände, die in unmittelbare Berührung mit unserm Körper kommen, zu unterscheiden vermögen, und zwar ob sie rauh oder glatt, weich oder hart, warm oder kalt und dergl. sind, und in Bezug auf die Gestalt. Während die übrigen Sinne des Menschen und ebenso auch der Thiere, auf einzelne Organe beschränkt sind, breitet sich das Gefühl über den ganzen Körper aus, indem sich Nervenfäden bis an die Oberfläche des Körpers verzweigen. Am lebhaftesten aber ist das Gefühl an den Spitzen der Finger und Zehen, und man bezeichnet die Finger daher auch als den vorzüglichsten Sitz dieses Sinnes, den man auch Tastsinn, Getast nennt. Wie die übrigen Sinne ist auch das Gefühl mancherlei Täuschungen ausgesetzt. So hängt es namentlich ganz von der eigenen Wärme des Körpers ab, ob ein anderer Gegenstand warm oder kalt erscheint. Erkaltet man z.B. die eine Hand, etwa indem man sie in Schnee steckt, erwärmt zugleich die andere und taucht dann beide Hände in dasselbe laue Wasser, so wird dieses an der erkalteten Hand warm, an der erwärmten kühl scheinen. Eine andere Gefühlstäuschung erfährt man, wenn der Mittelfinger über den Zeigefinger gelegt wird und dann zwischen beiden Fingerspitzen ein Kügelchen hin- und hergewälzt wird; man nimmt in diesem Falle mit dem Gefühl deutlich zwei Kugeln wahr, obgleich nur eine vorhanden ist. Zuweilen tritt in einzelnen Gliedern, z.B. in den Fingern, eine völlige Gefühllosigkeit vorübergehend auf, man sagt, das Glied sterbe ab. Man kann diese Erscheinung durch Unterbindung des Fingers hervorrufen. Bekannt ist, daß erfrorene Glieder gefühllos werden.
In höherer Bedeutung bezeichnet man mit dem Worte Gefühl die Gesammtheit aller ins Bewußtsein tretenden Erregungen, dieselben mögen nun von den Sinnen ausgehen, oder ganz innerlicher Natur sein, sowie die Erregungsfähigkeit selbst. Nur der Mensch, als bewußtes Wesen, nicht aber die Thiere, haben in dieser Beziehung Gefühl. Sehr häufig werden Gefühl und Empfindung gleichbedeutend gebraucht, doch sind Empfindungen eigentlich nur diejenigen Erregungen, welche noch unklar vor dem Bewußtsein sind. In Gefühl und Empfindung verhält sich der Geist nicht selbstthätig, wie im Gedanken, sondern leidend. Die gefühlvollen Menschen, die sogenannten schönen Seelen, bei welchen das Gefühlsleben so vorherrscht, daß gegen dasselbe der Verstand zurücktritt, sind daher mehr oder weniger willenlos und unthätig, obgleich sie durch äußere Eindrücke und durch Vorgänge in ihrem Innern auf das lebhafteste erregt werden. Die Empfindungen und Gefühle sind theils angenehm (Freude, Luft, Heiterkeit, Hoffnung), theils unangenehm (Trauer, Schmerz, Betrübniß, Furcht), jenachdem sie das Verlangen erzeugen, in ihnen zu verharren oder ihnen zu entfliehen. Da die Gebilde der Kunst und die der Natur am mächtigsten durch die Sinne auf den Geist wirken und zwar angenehm, wenn sie schön sind, so spricht man besonders viel von dem Gefühl für das Schöne und Erhabene und macht damit das Gefühl zum Richter über Natur-und Kunstgegenstände, wozu es allerdings geeigneter ist, als zum Schöpfer derselben, weil es, wie bemerkt wurde, sich nicht handelnd, sondern leidend verhält. Da dem Menschen endlich das Sittengesetz vom Schöpfer selbst in die Brust geschrieben ist, so hat derselbe ein sehr seines Gefühl für das Gute sowol, wie für das Böse (die Stimme des Gewissens), welches man das moralische Gefühl nennt. Obschon die Empfindung nur dadurch zum Gefühl wird, daß sie in das Bewußtsein tritt, so ist dieses im Gefühl doch keineswegs so klar und allseitig bestimmt, wie dies beim Gedanken der Fall ist, und daher kommt es, daß das Gefühl stets nach Worten sucht, ohne sich völlig aussprechen [160] zu können. Nicht selten wird die Sprache daher angeklagt, daß sie zu arm sei, um die Fülle des Gefühls auszusprechen. In der That ist auch der Mensch um so weniger im Stande zu sprechen, je mächtiger das Gefühl in ihm aufgeregt ist. Der Grund liegt aber darin, daß das Gefühl dadurch nicht aufgehoben wird, daß es in Worte gefaßt wird und daß bei mächtiger Aufregung der Mensch zu wenig seinen Verstand zu sammeln vermag, um die geeigneten Worte zu suchen. Der wahre Dichter ist der bevorzugte Mensch, bei welchem Gefühl und Verstand gleich mächtig sind, sodaß er auszusprechen vermag, wofür der gewöhnliche Mensch vergebens nach Worten sucht.