[597] Versöhnung heißt die aufrichtige und von Herzen kommende Herstellung von Friede und Freundschaft zwischen in Unfrieden und verderblichen Hader gerathenen Menschen und setzt die gegenseitige Verzeihung der einander vorher vielleicht angethanen Unbilden voraus. Im biblischen Sinne wird unter Versöhnung die Wiedervereinigung des sündigen Menschengeschlechts durch Jesu Opfertod verstanden und die Versöhnungslehre der Theologen läßt daher durch den [597] Tod Jesu Gottes Zorn wegen der Sünden der Menschen besänftigen, sie mit ihm aussöhnen und so der Sündenvergebung und Hoffnung des ewigen Lebens theilhaftig werden. Der Glaube an die Erbsünde ward später Veranlassung, daß die katholische Kirche die Versöhnung Gottes durch den Leidenstod Christi nur auf die Erbsünde bezog und für die wirklich begangenen Sünden die Versöhnung mit Gott sich vorbehielt, während die Protestanten den Begriff der Versöhnung allgemeiner fassen. Die apostolische Lehre schloß sich übrigens der jüdischen an, welche dem Versöhnungsfeste der Israeliten zum Grunde liegt, welches von ihnen jährlich mit Opfern begangen wurde, um von Gott durch ihren Hohenpriester die Vergebung ihrer begangenen Sünden zu erlangen, und welches noch eines der wichtigsten jüdischen Feste ist, das auch Versöhnungstag und langer Tag heißt. Es fällt auf den zehnten Tag des Monats Tisri, der gewöhnlich gegen Ende Sept. eintritt und dauert vom Abend des neunten zum Abend des zehnten. Zu den wesentlichsten Ceremonien desselben gehörte bei dem vom Hohenpriester allein verrichteten Gottesdienste das Opfern eines Stiers für sich, mit dessen Blute er die Bundeslade und das Allerheilige besprengte, was nachher auch mit dem eines Bocks geschah, welcher zufolge des Looses unter zweien zum Sühnopfer für das Volk bestimmten geschlachtet, sodann aber der andere in der Wüste freigelassen wurde, nachdem ihm vorher der Hohepriester die Hände aufgelegt und dabei sein und des Volks Sündenbekenntniß abgelegt hatte. Die nächsten Tage vor dem Feste wurden mit Fasten und andern Vorbereitungen begangen, was auch noch jetzt geschieht, wo im Allgemeinen Buße und Gebet, bei dem viele Israeliten die ganze Nacht vom 9. – 10. in den Tempeln verweilen, an die Stelle der Gebräuche getreten sind, die längst nicht mehr stattfinden können.