Zurechnung

[822] Zurechnung, lat. imputatio, wird die Beziehung einer Handlung auf den Urheber und die Behauptung genannt, daß sie eine Folge seines freien Willens gewesen sei. Geht man dabei nur von ihrem Verhältnisse zu den geltenden Gesetzen aus, so ist von rechtlicher Zurechnung, legt man aber das allgemeine Sittengesetz zum Grunde, von sittlicher Zurechnung die Rede, welche eine verdienstliche und eine zur Schuld sein kann. Die erste kann dagegen blos Zurechnung der Schuld sein, weil sie nur stattfindet, wo Jemand ein Recht verletzt hat; sie hängt genau von der Größe der Schuld ab und von dem Grade der Einsicht und Sachkenntniß der Person, ihrer Beurtheilungskraft, der Folgen und der Wichtigkeit des verletzten Gesetzes sammt dem Einflusse der darauf bezüglichen äußern Umstände aller Art. Sie kann nur vorkommen, wo anzunehmen ist, daß Derjenige, welchem etwas zugerechnet werden soll, auch den Willen und die Möglichkeit besessen habe, anders und entgegengesetzt zu handeln. Daher muß der Zurechnung die Untersuchung der Zurechnungsfähigkeit vorhergehen, wobei eben gefragt wird, ob die betreffende Handlung auch die vorgenannten Eigenschaften besitzt und für eine freie gehalten werden könne. Denn wäre der Handelnde durch seinen Gemüthszustand der innern Willkür und der Möglichkeit der Selbstbestimmung, durch äußere Verhältnisse der freien Bewegung und Anwendung seiner Kräfte und seines Willens beraubt, so würde die Handlung als eine erzwungene, unwillkürliche, also unfreie, vielleicht auch zufällige (s. Zufall) erscheinen und könnte dann nicht zugerechnet werden. Die Zurechnungsfähigkeit ist aber auch größer oder geringer, je weniger äußere Beweggründe und innere sinnliche Anregung zu einer Handlung vorliegen, je wichtiger ihre Folgen sind, je länger sie beabsichtigt, je bedächtiger sie ausgeführt wurde. Das Recht zuzurechnen hat nur der Richter; allein wie sehr er auch die deshalb gegebenen Vorschriften beobachtet, ist die gänzliche Vermeidung von Irrthum dabei doch nicht möglich und ein menschlicher Richter vermag rechtskräftig nur über äußere Handlungen Anderer rechtskräftig zu entscheiden. Zufällige Folgen eines zwar an sich mit Absicht begangenen Verbrechens können vernünftigerweise nicht zugerechnet werden, es sei denn, der Handelnde habe sie wenigstens als muthmaßlich mit vorausgesetzt.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 822.
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