[119] Aissé, eine Circassierin, von Geburt eine Circassierin, wurde als vierjähriges Kind von dem Grafen Ferriol, französischem Gesandten in Constantinopel, ihrer großen Schönheit und Lieblichkeit wegen, für 1500 Franken erkauft. Des Verkäufer behauptete, sie sei eine circassische Fürstentochter. Der Graf nahm sie mit sich nach Frankreich, wo die ausgezeichnetsten Lehrer und Künstler sich mit ihrer Erziehung befassen und ihre seltenen Anlagen und Talente entwickeln mußten. Doch war diese Sorgfalt für sie nicht ohne niedrigen Eigennutz von Seiten ihres Erziehers; denn kaum war sie herangeblüht, so forderte er ihre Liebe. Aiffé machte Aufsehen in Paris; von allen Seiten wurden ihr glänzende Anträge gemacht, an deren Spitze die Vorschläge des Herzogs von Orleans standen. Doch Aiffé wies alle zurück, bis die Liebe sich ihres Herzens bemächtigte. Der Chevalier Aidy, der bereits sein Gelübde als Maltheser abgelegt hatte, gewann ihre innige Neigung, doch er konnte ihr nicht seine Hand, sondern nur eine Leidenschaft gewähren, die, statt sie zu beglücken, ihr Inneres mit Schmerz und Reue erfüllte. Zwar wollte er Versuche machen, sich von seinem Gelübde wieder entbinden zu lassen, um sie heirathen zu können; aber sie selbst widersetzte sich seiner Absicht. Ihre gegenseitige Liebe blieb nicht in den Gränzen der Pflicht. Sie reis'te nach England, und gebar dort eine Tochter. Von dieser Zeit an wich ihre jugendliche Heiterkeit trübem Nachdenken und schmerzlichen Kämpfen. Sie konnte dem Geliebten weder entsagen, noch ihn ruhig besitzen, und dieser Zwiespalt[119] in ihren Gefühlen zerstörte ihre Gesundheit und bald ihr Leben. Sie starb 1733, acht und dreißig Jahre alt, noch immer schön und von Allen geliebt, die sie kannten. Die Briefe, die sie an mehrere ihrer Freunde geschrieben, sind so anziehend und herzlich, und enthalten neben mehreren interessanten Aufschlüssen und Bemerkungen über die bedeutendsten Personen jener Zeit in Paris eine so edle Aufrichtigkeit, und eine so reine, wohlwollende Gesinnung, daß man nicht umhin kann, der Versagerin ihre Schwächen zu verzeihen und sie herzlich lieb zu gewinnen. Voltaire sammelte sie zuerst, und gab sie, begleitet von einigen Noten, heraus; späterhin sind sie, zusammengestellt mit den hinterlassenen Briefen der Damen Tonein, Villars und la Fayette, nochmals zu Paris im Jahre 1806 in drei Bänden erschienen.
A.