[175] Fournier, Antoinette, eine ausgezeichnete deutsche Schauspielerin, geboren 1809 zu Mainz, widmete sich frühzeitig dem Theater, lebte aber bis zu ihrem 19, Jahre bei kleineren Bühnen, wo weder ein Vorbild noch der Rollenkreis dieß bedeutende Talent auf eine seiner würdige Weise entwickeln konnte. Erst mit dem [175] Jahre 1828, wo sie ein Engagement bei der Dresdner Hofbühne erhielt, verbreitete sich ihr Ruf. Wenn auch eine Zeit lang durch Tieck's Einfluß unterdrückt, entfalteten sich doch ihre Fähigkeiten auf eine so außerordentliche Weise, daß sie von nun an die bedeutendste Erscheinung der dortigen Kunstanstalt wurde, die zu einer Zeit, wo die Gley-Rottich, die Devrient-Schröder, die Schirmer und andere Talente von Bedeutung in ihrer ersten und kräftigsten Kunstentwicklung glänzten, eine bedeutende artistische Rangstufe einnahm. Umtriebe, die nicht stets im Bereiche der Kunst blieben, verbitterten ihr den Dresdner Aufenthalt; sie nahm 1829 eine Anstellung beim Berliner Hoftheater an und glänzte dort ein Jahr lang eben so durch den seltenen Zauber ihres Talentes wie durch ihre reizende Persönlichkeit und ihre geselligen Tugenden, die durch die Reinheit und Unbescholtenheit ihres Lebenswandels nur erhöht wurden. Ein ehrenvoller Ruf rief sie an das Wiener Burgtheater, wo sie gegenwärtig noch angestellt und eine gefährliche Rivalin der reizenden Peche ist. Ihr Genre ist das Sentimentale, der deutsche Grundcharakter, die Elegie in ihrer schönsten Personificirung. Wer Antoinette Fournier als Blinde in einem schon vergessenen Schauspiel der Frau von Weissenthurm: »Das Manuscript,« auch nur einmal gesehen, hat gewiß einen bleibenden Eindruck für sein ganzes Leben behalten. Dieser seelenvolle Ton, diese Natürlichkeit, diese Anmuth und Grazie rissen in demselben Grade hin, als sie durch die vollendetste Repräsentation die Mängel der Dichtung vergessen machten. Sie besitzt einen Wohlklang, eine Biegsamkeit, einen Schmelz des Organs, der in der Rede fast noch mächtiger wirkt, als Gesang. Ihre Züge sind mild, sanft, sprechend, ihre Augen eines hinreißenden Ausdrucks fähig. In den mehr passiven, leidenden Charakteren der Tragödie wird sie von keiner deutschen Schauspielerin übertroffen; es gibt Partien, worin sie nur mit der verstorbenen Sophie Müller (s. d.) verglichen werden kann. Ueber die Darstellung der Johanna d'Arc, die sie in einer bis dahin[176] ganz eigener Weise auffaßte, wußte sie einen poetischen Zauber auszugießen, der ältere und vielfach erfahrene Theaterkenner in Verwunderung versetzte. Ihre Leistung als Gabriele ist so erschütternd und seelenvoll, daß kein Auge trocken bleibt. Ein Verlust für die übrigen Theaterfreunde Deutschlands ist es, daß Antoinettens Contractverhältnisse, wie es scheint, es nicht gestatten, durch Gastspiele auf den bedeutendern deutschen Theatern eben so viel Kunstgenüsse zu gewähren, als Triumphe vor den gesammten Repräsentanten der deutschen Nation zu feiern.
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