[333] Gazelle. Die Poesie, beschränkt auf das todte Wort und[333] deßhalb weniger mächtig als die Malerei und Tonkunst mit ihrer Farben- und Tonpracht, entlehnt ihre Bilder und Gleichnisse, ihre Farben und Klänge aus der Natur, um, was sie schildern will, mehr zu versinnlichen. Ost spricht sie daher von Gazellenaugen von einem Gazellenwuchse der Schönen. Und in der That ist die Gazelle, ehedem der lybischen Kriegsgöttin geweiht, ein schönes, liebliches, von den Dichtern gefeiertes Thier. Sie bildet eine Untergattung der Antilope, ist von der Größe eines Rehs, oben hellbraun, unten weiß von Farbe, hat runde, schwarze, leierförmige Hörner, und zeichnet sich besonders durch den schlanken Wuchs ihres Körpers aus, der von außerordentlich seinen Füßen mit Leichtigkeit getragen wird. Aus dem mandelförmig geöffneten, sammetschwarzen Auge blitzt zarte Sehnsucht, Lebendigkeit und Geist zugleich. Alle Theile des Körpers sind im schönsten Ebenmaße, der Kopf, in allen Verhältnissen angenehm, ist in seinen Umrissen braungelb und zeigt nach der Stirne zu einen grauen Fleck und auf beiden Backen weiße Streifen, die die Augen einfassen. Diese zierliche Gesammtheit hat für die Augen so viel Reiz, daß die Züge der Gazelle die beliebtesten Vergleichungspunkte der orientalischen Dichter sind, wenn sie die Schönheit einer Frau malen. Aber auch in Hinsicht ihrer Gewohnheiten, der Lieblichkeit und Schüchternheit in ihrem Charakter werden die Gazellen als Sinnbilder gewählt. Sie halten sich herdenweise in Syriens und Arabiens ebenen Flächen auf, wo eine weite Aussicht sich ihnen eröffnet und ihre Blicke die Löwen, Tiger, Panther etc., welche sie blutgierig verfolgen, leicht erspähen können. Wenn sie ruhen, stellen sie auf den Anhöhen Wachen aus, welche beim Herannahen eines Feindes durch Geschrei warnen. Aber auch der Mensch verfolgt diese sanften Thiere ihres auserlesenen Fleisches wegen und des Vergnügens der Jagdlust. Man zähmt sie leicht und sie werden namentlich in Persien jungen Mädchen als Gespielinnen beigegeben So gewährt es einen lieblichen Anblick, das sanfte schöne Thier im Gefolge einer jugendlichen,[334] reizenden Schonen auf den Hügeln Caschmirs lustwandeln zu sehen. Es gibt mehrere Arten Gazellen, wovon wir den Guevi, der kaum 9 Zoll hoch ist, den Camea (von der Größe eines Pferdes), die Springantilope, den Oryx, den Grimm, welchen der Hall des Donners erschreckt und die europäische Gazellenart Saiga, die in unzählbaren Herden auf den unfruchtbaren, sandigen Ebenen, welche die Donau, das schwarze und kaspische Meer begrenzen, herumirrt Die transparenten Hörner der letzteren werden von den Chinesen sehr geschätzt und als Laternengläser verwendet.
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