[490] Grabbe, Christian, der genialste unter den lebenden dramatischen Dichtern Deutschlands, ist 1801 zu Detmold geboren, entflammte schon in der Jugend für die großen Tragödien der alten Griechen und für die erhabenen Dichtungen Shakespeare's und Byron's. 1827 trat er zuerst mit dem »Herzog von Gothland« auf und bald nachher gab er seine »Hohenstaufen,« den »Friedrich Barbarossa« und »Heinrich VI.« enthaltend. Sie alle durchweht der glühende Hauch der seltensten dichterischen Begeisterung und einer großartigen, höchst originellen Auffassung; dagegen gehen ihnen Bühnenkenntniß, Mäßigung und Ruhe und die Ge- wandtheit der Sprache durchaus ab. Seine kühnste Dichtung, Byron's, seines herrlichen Vorbildes, würdig ist »Don Juan und Faust« fast toll bizarr, allein an einzelnen Schönheiten, an Funken der tiefsten und innersten Poesie überreich. Grabbe's späteres Drama: »Napoleon und die hundert Tage« zeichnet sich durch gleiche Vorzüge aus, und leidet schon ungleich weniger als die frühern an den erwähnten Mängeln. 1835 ließ er eine neue Dichtung »Hannibal« erscheinen. Grabbe ist entschieden zum großen Dichter berufen, sein Genie verschmäht es nicht, den unstäten Fittig des Geistes zu zähmen und in Formen zu bannen; daß er es kann, hat sein Napoleon bewiesen, der von der Möglichkeit künstlerischer Besonnenheit und innerer Harmonie, von dem Zurückdrängen phantastischer Aeußerungen und von psychologischer Auffassung das erfreulichste Zeugniß ablegt, und von der Feder des genialen Dichters noch viele herrliche Spenden erwarten läßt.
R.