Handarbeiten, weibliche

[148] Handarbeiten, weibliche, können füglich in zwei Klassen: nothwendige und überflüssige, eingetheilt werden. Die hauptsächlichsten der ersten Kategorie, das Spinnen, Weben, Nähen und Stricken, sehen wir trotz ihres Nutzens als untergeordnete Beschäftigungen an. Sie sind die weiblichen Handwerke und der Nahrungszweig armer Leute geworden, Grund genug für die elegante Welt, sie gering zu achten und den dienenden Händen zu überlassen, obgleich die fleißige, echte Hausfrau sich noch heute derselben eben so wenig schämt, als einst die Fürstinnen und andre vornehme Frauen, welchen außerdem noch das Färben des Garns oder der Wolle oblag, bei welchem Geschäfte Sklavinnen sie nur unterstützten. Männliche Hilfe in solchen Dingen war ehedem gänzlich unbekannt; denn der Herr und seine Diener lebten dem Kriege oder dem Waidwerke, während die emsigen Frauen am Herde oder am Webstuhle und mit der Spindel für ihre Bedürfnisse sorgten. Ihr Wunsch, dem einfachen, gewirkten Gewande eine bessere Form zu geben, erfand das Nähen, und diesem folgte bald das Sticken. Der Uebergang vom Nothwendigen zum Schmückenden war geschehen und nun erfand man jene hundertfältigen Kunstwerke und Niedlichkeiten, welche seitdem die weibliche Phantasie schuf und die wir dennoch in die zweite Klasse, d. h. der überflüssigen, oder Luxusarbeiten verweisen müssen. Der Plattstich ist unstreitig die frühste Art der Stickerei in bunten Wollen und mit Gold (Seide war noch sehr selten) und der Grad der[148] durch diese Manier zu erreichenden Vollendung einer Arbeit, ist so verschieden, wie die Anwendung des Pinsels nur immer sein kann. Einen Beweis, wie weit man es im alten Griechenland in dieser schönen Kunst gebracht hatte, gibt Aristoteles 'durch die Erzählung von dem Pracht-Mantel des Alcysthenes, eines Sybariten, der damit bei einem Feste der Juno die Bewunderung aller, gleich ihm, in Crotona Anwesenden, erregt habe. Dieser Mantel war 15 Ellen weit, seine Grundfarbe Purpur. Vorn herunter bildeten ganz natürlich colorirte Thiere, die höchst künstlich gestickt waren, die Bordüre. Oben befand sich eine Ansicht der Stadt Sare und unten über dem Saume zeigten sich eine unzählige Menge Perser in allerlei Stellungen und Geschäften. Das Mittelstück stellte den Olymp und die Götter darin in ihrer ganzen Majestät vor. Jupiter und Juno neben ihm saßen oben an, die übrigen folgten nach dem Range. Die beiden Zipfel des Mantels zierte eine treue Abbildung der Stadt Sybaris und das Portrait des Besitzers, des Alcysthenes selbst. Dieser Mantel ward später vom ältern Dionysos, Tyrannen zu Syrakus, in dessen Hände er gefallen war, für 120 Talente (ungefähr 120,000 Thlr.) an die Karthaginenser verkauft. Beschämt müssen wir gestehen, daß, wenn in dieser pomphaften Beschreibung keine Uebertreibung herrscht, wir jetzt weit entfernt sind, ein solches Kunstwerk liefern zu können; und wenn uns gleich manch' verblichner Meubles-Ueberzug und uralte Decken Zeugniß geben, wie geschickt die Ahnfrauen noch in diesem Fache waren, wenden wir uns selbst zufrieden ab und eilen zum abzuzählenden Muster, das wir auf Cannevas kopiren, anstatt nach eigner Zeichnung, die wir meistens nicht zu entwerfen verstehen, zu schaffen. Eine Menge andrer Tändeleien, die von den Begüterten und Hochgestellten mit Eifer betrieben und Arbeiten genannt werden, sind als augenblickliche Launen der Mode, da sie keinen eigentlichen Zweck erfüllen, nur ephemerer Existenz, und wenn die gebildeten Nationen der alten Welt, wie wohl zu glauben steht, dergleichen[149] auch hatten, so verschwanden sie eben so spurlos, wie die unsrigen nach kurzer Frist vergessen sein werden. Korallen, Muscheln, Vogelfedern u. s. w. gaben durch ihre zum Spiel einladenden Formen unbezweifelt von jeher Veranlassung zu der und jener Zusammensetzung und Verwendung. Die Insulaner der Südsee benutzen außer den Federn auch noch den Bast einiger ihrer Pflanzen zu netten Stickereien und die Weiber der Kirgisen, Tschuktschen, Samojeden und Kamtschadalen sticken die Saume ihrer Kleider von Fisch- und Thierhäuten, die sie nicht einmal gar zu machen verstehen, unendlich mühsam (Fischgräthen dienen statt der Nähnadeln) mit Fäden von Rennthiersehnen, bunten Läppchen und Glaskorallen. Der Wunsch, sich zu putzen und dadurch zu gefallen, rief, wie man hieraus sieht, allenthalben die gleichen Mittel hervor und die einsame, fast sklavische Lebensweise der Frauen bei den meisten Völkern lehrte sie einen Zeitvertreib aus den langwierigsten Handarbeiten machen. Die freie stolze Römerin kümmerte sich wenig darum, und was ihre Toilette bedurfte, das fabrizirten der Sklavinnen regsame Hände. Als aber Jahrhunderte vorüber gezogen waren und der Klöster graue Thürme sich über Italiens Lustgefilde erhoben, da erfanden fromme Klosterfrauen wieder mancherlei Neues von Handarbeiten. Das noch heute unter den spanischen und italienischen Nonnen so beliebte Verfertigen der Gewürzblumen wurde zur Zierde für die Altäre und mit Gold, Seide, Perlen und Edelsteinen stickten die eingeschloßnen, gottgeweihten Frauen entweder kostbare Meßgewänder für ihre Priester, oder ein steifes Festkleid für die Madonna. Die Ritterfrauen des Mittelalters versahen ihre Männer mit eigenhändig verfertigter Schärpe, Wehrgehenk und Mantel, und Fürstinnen ehrten, nachdem das Heerwesen eingeführt war, begünstigte Kriegerscharen durch selbst gestickte Fahnen. In den Harems des Orients waltete ehemals wie jetzt die Seidenstickerei in hoher Vortrefflichkeit, und schon zu den Zeiten der Chevalerie stickte die saracenische Dame dem muselmännischen[150] Ritter in Spanien einen reichen Waffenärmel mit ihrem arabischen Denkspruche und ein Fähnlein in seine Lanze. Die Neu-Griechinnen besitzen außerdem noch eine andre, bei uns unbekannte Kunst. Sie verfertigen aus starken Seidenfäden (cordonnets), die sie, namentlich auf Scio, meisterhaft prächtig zu färben verstehen, eine Art Seidenmosaik, durch wunderbar verknüpfte, elastische Gewebe, die vorzüglich zu Geldbörsen benutzt werden und sehr theuer zu stehen kommen. Ein kleines Stückchen dieser sehr mühsamen Arbeit erfordert an 4 Wochen Zeit. Noch schwieriger und Zeit raubender, ja wohl die mühseligste von allen Handarbeiten ist das Geschäft der morgenländischen Frauen von der gewerbtreibenden Klasse in den Städten (vorzüglich Persiens), wo die Shawls gewebt werden. Alle die seinen, zahllosen Blümchen, die wir in ihren reichen Bordüren und Füllungen bewundern, werden von jenen mit unsäglicher Geduld mittelst der Nadel eingeschoben, und Hindostans Frauen, die ihre Shawls mit Plattseide, die von schwarzen Kreuzfäden festgehalten wird, sticken, haben es sich damit weit bequemer gemacht. Nur sehr selten sieht man Letztere, welche von Seide sind und sich durch Farbenpracht auszeichnen, in England und Frankreich, wohin auch mitunter die seinen, aus Bast geflochtnen Matten, welche nach dem neusten Luxus die Marmorfußböden der Sommerwohnungen bedecken müssen und die ebenfalls Produkte des indischen weiblichen Fleißes sind, ausgeführt werden. Das Matten- und Strohhutflechten blieb überhaupt bei wilden und kultivirten Nationen, seiner Leichtigkeit halber, den Frauenzimmern überlassen, eben so wie das zierliche Korbflechten. Berühmt in Europa waren ehedem die Strohgeflechte aus dem Arnothale, welche dieser Gegend allein alljährlich einige 100,000 Thlr. einbrachten; doch verfertigen auch die Italienerinnen anderer Gegenden viel in dieser Art. Nächst dem fabriziren sie die künstlichen Blumen aus Seidenzeugen, unter denen die Mailänder und Florentiner selbst den Vorzug vor den französischen haben und im conservatorio della pietà zu Venedig, [151] unterrichtet man junge Mädchen in der Formung der köstlichen Wachsblumen, die jetzt auch in Brasilien neben den dortigen Federblumen so ausgezeichnet schön gemacht werden Uebrigens begünstigt die träge, vom Klima erzeugte, Lebensweise des schönen Landes die Handarbeiten der Frauen daselbst im Allgemeinen eben so wenig wie in Spanien; Frankreich hingegen erfand zeitig die, früher Marly-Nähen geheißene, Tapisseriearbeit, welche später mit dem Filetstricken Hand in Hand ging und sich überall hin verbreitete. Das eigentliche Stricken konnte dort in den feinern Zirkeln nie recht Wurzel fassen, aber freundlich nahmen es die Deutschen auf und hier ist diese nützliche Beschäftigung so heimisch geworden, daß man sie im Auslande spottend als ein Attribut deutscher Frauen bezeichnet. Lange erhielt sich auch hier das Spinnen, zumal auf zierlichen Rädchen, mußte aber doch endlich in die Gesindestube wandern. Das Weben war noch viel, viel früher abgekommen, und obgleich Barbara Uttmann (s. d.) zu Annaberg das berühmte sächsische Spitzenklöppeln (die Brabanter Kanten hatten sonst den Vorzug) erfand, so schuf ihr sinnreicher Fleiß doch damit nur einen segenbringenden Industriezweig für das arme Erzgebirge, wo er viel regsame Hände in Bewegung setzte. Aber die in der Handarbeit nur Vergnügen Suchenden verschmähten es, sich so mühsam zu beschäftigen. Gab es doch die viel leichtere und glänzendere Tapisseriearbeit, oder den gros point, der, wie schon sein Name besagt, ehemals nur zu Tapeten, Teppichen und Ameublements verwendet worden war, jetzt aber, in den petit point verwandelt, zu Allem tauglich, den Chenille-, Borten- und Lyoner Seidenstickereien en soie plate den Gnadenstoß ertheilte. Die geschmacklosen Lahn- und bunte Flitterpakete verschwanden sammt dem mancherlei Gold- und Silbergekräusel etc. von den Stickrahmen. Das Orchis- und Frivolitéknüpfen behauptete sich noch, Häkeln und Perlenstricken kamen nebenbei en vogue und wurden die Themas zahlloser bunter Variationen. Mit der Verbreitung des englischen Tülls begann[152] man Spitzen durch untergelegte Linons etc. nachzuahmen. Mit mehr Geschmack und Erfolg bildete man schon länger echte Blonden durch offene Seide nach, jetzt ward dieß auch mit Glanzgarn und schottischem Garn versucht. Eine neue, anmuthige Erscheinung, die Naturstickerei, (s. d.) zog mittlerweile die Aufmerksamkeit des weiblichen Publikums auf sich. Die Zeit der Wollblumen- (s. d.) Manie hatte sie herbeigeführt und beide verbanden sich passend, um durch die aus Lyon eingewanderte geschorne Arbeit (s. Wollpoussirkunst) in Deutschland verdrängt zu werden. Um noch Neueres zu fabriziren, nahmen endlich Einige die alte, sonst in Klöstern schon gebräuchliche Art, Gemälde durch zusammengesetzte Läppchen darzustellen, wieder auf, doch ohne viel Nachfolgerinnen zu finden. Die Federblumen und Perlen-, wie Kreppfrüchte, kamen an die Reihe und der artig angewandte, der Malerei unbedingt zunächst stehende Plattstich verewigte schöne Vögel. Die schon seltnern Landschaften in Chenille ähnelten in der Behandlungsart der Krepp- und Haarstickerei (s. d.), verlangten aber sämmtlich Zeichnenkunde, die jedes junge Mädchen sich zu eigen machen sollte. Leider vernachlässigen die Meisten das Erlernen dieses freundlichen Talentes und glauben auch ohnedieß mit dem bequemen, vom Muster abhängigen Kreuzstiche, der jetzt Alles überfluthet, zu Stande zu kommen. Becherhäkeln, Spinnenbeutel, Goldbouillon, Gewürz-, Stroh- und Bändchenstickerei, und wie die unbedeutenden Tändeleien, deren Zahl Legion ist, immer heißen, gesellen sich dazu; und sind namentlich für Kinder empfehlenswerth. Es ist einmal Ton unsrer Zeit, die geringsten Geräthschaften zum Gegenstande einer zierlichen Handarbeit für Damen zu machen und das dem japanischen Porzellan entlehnte Bildchenausschneiden und aufkleben auf Cartons entzog man deßhalb auch nur dem Handkörbchen der Großmama, wo es seit der Perückenzeit begraben lag. Das Abziehen kleiner Kupferstiche und die orientalische Malerei lösten bereits diese Quodlibets ab, ohne sich inzwischen das Bürgerrecht erwerben zu können.

F.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 148-154.
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