[464] Iphigeneia, die vielfach gefeierte Tochter Agamemnon's und der Klytemnestra. Um der griechischen Flotte günstigen Wind zu verschaffen und den Zorn der Artemis zu besänftigen, berief Agamemnon seine edle und schöne Tochter nach Aulis, in der Absicht, sie zu opfern, wie sehr auch sein Herz sich sträubte, vorgebend, er wolle sie mit Achilles vermählen. Dieser, die grausame Absicht Agamemnon's kennend, suchte vergebens das schuldlose Opfer zu retten. Schon umstanden die Priester den Altar, schon[464] harrte das Volk, zitternd und bange, Iphigeneia beugte ihr Haupt der Todesstreich fiel da war ein Wunder geschehen. Plötzlich verschwand die Jungfrau, mitleidvoll hatte Artemis sie hinweggerückt und ein Wild lag blutend an der Opferstätte. Im Tempel der Göttin zu Tauris diente fortan Iphigeneia als eifrige Priesterin, aber mit tiefem Schmerze in der fühlenden Seele, denn nur zu oft mußte sie ihre eignen Landsleute dem Tode weihen, die eine Beute der rohen und wilden Taurier geworden waren. Unter solchen Todesopfern stellte sich ihr einst sogar Orestes, ihr eigener Bruder, dar, der nach Taurien gekommen war, um das dortige Artemisbild nach Argos zu führen. Zum Glück erkannte sie ihn, und mit ihrer Hilfe raubten Orest und Pylades die Bildsäule und brachten diese nach Brauron in Attika. Dort lebten Orestes und Iphigeneia in ungetrübter Ruhe. Nach ihrem Tode theilte sie gleiches Schicksal mit Achilles auf den seligen Inseln, der in der Unterwelt ihr, der in ewiger Jugend Blühenden, vertrauter Gefährte wurde.
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