Kleinkinderschulen

[149] Kleinkinderschulen, auch Bewahranstalten. Diese nützliche Einrichtung in's Leben gerufen zu haben, ist das Verdienst deutscher Frauen. Die erste K. wurde 1802 von der klugen und noch jetzt in gesegnetem Andenken stehenden Fürstin Pauline von Lippe (s. d.) zu Detmold gegründet. Andere Städte, wie Wien, Dresden, Berlin etc., folgten diesem Beispiele, und auch in Frankreich, [149] England und namentlich Nordamerika fanden diese Schulen solchen Beifall, daß sie sich bald in's Unendliche vermehrten. Aber überall waren es die Frauen, die das Interesse dafür erweckten und mit zarter Hand die Leitung übernahmen. – Zuerst hatte man wohl nur den Plan, Müttern, die sich durch Handarbeiten nähren, die Pflege und Wartung ihrer kleinen Kinder zu erleichtern. Die Fortschritte der Kleinen zeigten sich aber nach kurzer Zeit in so günstigem Lichte, daß auch begüterte Eltern ihre Kinder in die Schulen sandten. Wir geben hier die Einrichtung einer Kleinkinderschule, der alle andern im Ganzen gleichen. Die Kinder werden vom 2. bis 6. Jahre von gebildeten Erzieherinnen unterrichtet und unter Aufsicht gehalten, und zwar des Morgens von 7–12, des Nachmittags von 2–7 Uhr, im Winter 2 Stunden weniger. Unterricht und Spiel wechseln mit einander ab. Mehr als die Hälfte der Zeit widmet man dem zur Schule gehörigen Garten, natürlich mit Rücksicht auf die Witterung. Für den Vortrag in der Naturgeschichte zeigt die Lehrerin große gemalte Thiere, ein papierner Erdball soll die Geographie anschaulich machen, außerdem werden die Anfangsgründe der Religion und der Rechnenkunst, so wie das Lesen und Singen gelehrt. Auf jede halbe Stunde Unterricht folgen Spiele und Leibesübungen. Nie sind die Kinder einen Augenblick müßig; die Freude und Willigkeit, mit der sie alle Befehle befolgen, beweist, welchen Reiz die Thätigkeit, die Abwechselung in der Beschäftigung und die Gemeinschaftlichkeit des Wirkens für die kleinen Gemüther hat. Die Kinder erhalten nur gelinde Verweise, die härteste Strafe ist, den Spielen der andern eine längere Zeit zusehen zu müssen. – Ueber die Zweckmäßigkeit dieser Anstalten ist nur Eine Stimme. Kinder, die nur 8 Tage hingingen, fühlten sich unglücklich, als man sie zu Hause behielt. Die Eltern dagegen bemerken, daß die Kinder durch diesen Unterricht an Neigung zu Reinlichkeit, Ordnung, Höflichkeit und Fleiß, an Liebe und Gehorsam gegen die Eltern und an Verträglichkeit im[150] Umgang mit Allen außerordentlich gewinnen. Tugenden und Laster sind Pflanzen, die schon in den ersten Jahren in den Gemüthern der Kinder Wurzel schlagen. Je früher jene gepflegt und diese ausgerottet werden, desto leichter und vollkommener wird der Zweck der Erziehung erreicht. Die beste Privaterziehung aber kann den Leistungen einer guten K.-Schule nicht gleich kommen; hier lernt das Kind durch bloßes Beispiel sich der Ordnung fügen, böse Neigungen bekämpfen und seine Kräfte anstrengen.

S.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 149-151.
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