Lebensversicherungen

[306] Lebensversicherungen. Wenn man die Sterbefälle betrachtet, die sich eine Reihe von Jahren hindurch in einem Lande ereignen, so findet sich, daß die Gestorbenen, durchschnittlich gerechnet, in einem Jahre dasselbe Alter erreicht haben wie in dem andern,[306] und daß auch in der Zahl derselben zwischen den einzelnen Jahren wenig Unterschied stattfindet. Nach den so gefundenen Verhältnissen, welche man das Sterblichkeitsgesetz eines Landes nennt, kann man daher bestimmen, wie viel von einer gewissen Anzahl Menschen in einem Jahre sterben werden und welche Lebensdauer im Durchschnitt jedem beschieden ist. – Diese Erfahrungen haben dazu geführt, Versicherungen auf das menschliche Leben abzuschließen. Es sind Verträge, wodurch sich eine Versicherungsanstalt gegen Jemand (den Versicherten) verbindlich macht, eine bestimmte Summe bei dem Tode einer gewissen Person auszuzahlen, wogegen bestimmte jährliche Beiträge (Prämien genannt) die nach dem Alter jener Person und ihrer durchschnittlichen Lebensdauer abgemessen sind, an die Anstalt bezahlt werden müssen. Die Versicherung kann entweder nur auf eine Reihe von Jahren (gewöhnlich nicht über zehn) oder auf das ganze Leben der Person geschlossen werden, bei deren Tod das Kapital ausgezahlt werden soll, und sie kann entweder das Leben des Versicherten selbst, oder auch das einer ihm verwandten, oder durch ein Darlehen verbindlich gewordenen Person zum Gegenstande haben. – Der Hauptzweck dieser Versicherungen ist Versorgung der Familien. Wenn einem häuslichen Kreise der Ernährer frühzeitig entrissen wird, ist Sorge und Mangel nicht selten das Loos der Hinterbliebenen. Für diesen Fall durch Versicherung des Lebens ein Kapital zur Unterstützung der Familie in Bereitschaft zu stellen, ist daher für Alle, die wenig oder kein Vermögen besitzen, eine Maßregel verständiger Fürsorge. Wer von seinem Einkommen jährlich etwas in eine Sparkasse legt, kann allerdings auf diese Weise, wenn er ein hohes Alter erreicht, für die Seinigen ebenfalls ein Kapital allmählig sammeln. Es kommen aber im Leben häufig Veranlassungen vor, die gesammelten Sparpfennige anzugreifen und für irgend einen andern Zweck zu verwenden; auch geschieht es nicht selten, daß das Gesammelte durch Unglücksfälle verringert wird oder ganz verloren geht. Diese Ungewißheit[307] des Erfolgs, welche mit dem eignen Ansammeln der Ersparnisse verbunden ist, fällt weg, wenn dieselben zu einer Lebensversicherung verwendet werden. Die Versicherungsanstalt macht sich nämlich verbindlich, die bestimmte Summa 3 Monate nach dem Tode der versicherten Person auszuzahlen, gleichviel ob derselbe frühzeitig oder erst später erfolge, und so kann man alsbald das ganze Kapital im Voraus sicher stellen, das man den Seinen zu hinterlassen gedenkt, während dadurch, daß die Versicherungsprämie jährlich an dem festgesetzten Termine entrichtet werden muß, das Zurücklegen des erforderlichen Betrags allmählig zur Gewohnheit und die Versicherung daher häufig die Veranlassung zu größerer Ordnung und zu heilsamen Einschränkungen im Geldhaushalt wird. – In den meisten deutschen Staaten bestehen Witwenkassen für die Frauen der Staatsdiener, wodurch für diejenigen unter ihnen, welche ihre Ehemänner überleben, gesorgt ist. Doch wo noch unerzogene Kinder vorhanden sind, ist es nicht überflüssig, der Gattin durch eine Lebensversicherung auch ein baares Kapital zur Aushülfe für die Jahre zu sichern, wo für die Erziehung oder Ausstattung der Söhne und Töchter ein Aufwand gemacht werden muß, zu dem der Witwengehalt nicht ausreicht. Im Allgemeinen aber haben Lebensversicherungsanstalten dadurch einen Vorzug vor Witwenkassen, daß bei diesen, wenn die Frau vor dem Manne stirbt, letzterer, ohne irgend eine Entschädigung für die bezahlten Beiträge zu erhalten, ausscheiden muß, während die Lebensversicherungen so abgeschlossen zu werden pflegen, daß es dem Versicherten frei steht, wem er das Kapital zuwenden will, so daß, wenn seine Gattin vor ihm stirbt, er darüber zu Gunsten der Kinder oder sonst eines Andern verfügen kann. Auch pflegen die Versicherungsanstalten, wenn Jemand freiwillig ausscheidet und die ihm ausgestellte Urkunde (Police genannt) zurückgibt, einen Theil der eingezahlten Beiträge zurück zu geben. – Lebensversicherungen von Ehemännern zu Gunsten der Frauen geschehen namentlich, wenn Jemand das Vermögen der Gattin in[308] sein Geschäft nimmt oder bei einer Unternehmung anlegt, die zwar Ertrag verspricht, woraus aber das verwendete Kapital nicht leicht wieder herausgezogen werden kann, z. B. Fabrikanlagen u. dergl. Das Eigenthum der Gattin wird dann am besten durch eine Lebensversicherung sicher gestellt, wozu die Prämie durch den Ertrag der Unternehmung geschafft werden muß; dadurch macht auch der Ehemann allmählig seine Besitzung schuldenfrei, und wenn etwa nach dem Tode der Gattin das von ihr empfangene Kapital zurückgefordert wird, so hat er dasselbe alsbald in Bereitschaft. Ferner finden dergleichen Versicherungen bei Heirathen statt, wenn nach dem Ehevertrag ein bestimmtes Kapital der Gattin als einstiges Withum gesichert, oder in den Fällen, wo gesetzlichen Bestimmungen zu Folge, vor der Heirath eine Caution gestellt oder ein gewisses Vermögen nachgewiesen werden muß. Anstatt des letzteren werden dann zuweilen Versicherungspolicen angenommen; der Ehemann muß jedoch durch Anweisung auf seine Besoldung oder sonst eine feste Einnahme, die Fortzahlung der jährlichen Beiträge sichern. – Versicherungen von Frauen zu Gunsten ihrer Ehemänner finden statt, um Abstände in den beiderseitigen Vermögensverhältnissen auszugleichen. So geschieht es z. B., daß eine Gattin, die nicht über ein bestimmtes Vermögen, sondern nur über gewisse lebenslängliche Renten verfügen kann, einen Theil derselben zur Bildung eines Kapitals anwendet, das nach ihrem Tode dem Gatten zufallen und die Lücke ergänzen soll, welche außerdem durch den Wegfall jener Einkünfte in dem Haushalt entstehen würde. Auch in den seltneren Fällen, wo der Ehemann jünger ist als die Gattin, mithin die Wahrscheinlichkeit hat, diese zu überleben, ist es räthlich die Versicherung auf das Leben der Frau abschließen zu lassen, während, wenn der Mann der ältere ist, das Gegentheil zu geschehen pflegt. Will man, daß derjenige von zwei Eheleuten, welcher den andern überlebt, sei es nun der Gatte oder die Gattin, bei dem Tode des andern ein Kapital ausgezahlt erhalte, so kann auch hierauf eine[309] Versicherung bewirkt werden, die man dann eine Versicherung auf 2 verbundene Leben nennt. – Nur gesunde Personen in dem Alter von 15 bis 60 J. dürfen bei den Versicherungsanstalten angenommen zu werden, weßhalb der sich Meldende sein Alter und seinen Gesundheitszustand genau angeben und außerdem ein Alterszeugniß und ein Attest seines Hausarztes beibringen muß. Wenn sich in diesen Papieren oder in der eigenen Erklärung des Versicherten falsche Angaben finden, so geht der Anspruch auf die versicherte Summe verloren; dasselbe geschieht, wenn das Leben der Person, auf welche die Versicherung gestellt ist, durch Zweikampf, Hinrichtung oder Selbstmord endet. Kommt sie aber durch einen Unglücksfall oder durch Mörderhand um, so kann das versicherte Kapital nicht verweigert werden. Die Beiträge werden in einer bestimmten Stufenfolge nach dem Alter bestimmt, das die zuversichernde Person bei der Aufnahme erreicht hat und sie bleiben dann unverändert, so lange die Versicherung besteht. Der jährliche Beitrag für 100 Thlr. Versicherungssumme ist bei den Anstalten in Gotha und Leipzig für den 30jährigen 2 Thlr. 19 Sgr., und für den 60jährigen 7 Thlr. 45/6 Sgr., so daß eine Versicherung von 1000 Thlr. dem, der in das 30. Jahr tritt, 26 Thlr. 10 Sgr., und dem im 60. Jahre Aufgenommenen 71 Thlr. 18 Sgr. jährlich kostet. Es folgt daraus, daß der, welcher in jüngern Jahren sein Leben versichern läßt, den jährlichen Beitrag leichter aufbringen kann als der, welcher die Versicherung bis zu einem vorgerückten Alter verschiebt; auch ist eine Verzögerung schon darum nicht räthlich, weil zuweilen auch die beste Gesundheit ein schnelles Ende nimmt, und dann der Weg zur Versicherung verschlossen ist. Es gibt zwar Personen, welche das Vorurtheil hegen, eine Lebensversicherung sei ein Eingriff in das Walten des Geschicks und eine Art von Herausforderung an den Tod, der auch Versicherte bald heimzusuchen pflege. Die Erfahrung der englischen Anstalten zeigt aber, daß dort Tausende von Versicherten zu höheren, und Viele davon bis zum höchsten Alter gelangen.[310] Man hat auch schon oft beobachtet, daß Personen, welche für den einstigen Unterhalt ihrer Familie Vorsorge getroffen hatten, wenn sie von Krankheit befallen wurden, leichter davon genasen, als Andere, zu deren körperlichem Uebel sich noch die Sorge um das Schicksal der Familie gesellte. So wirken die Versicherungen gewiß nicht verkürzend, sondern vielmehr vortheilhaft auf die Lebensdauer der dabei Betheiligten. – In England besteht eine große Zahl von Lebensversicherungsanstalten; für Deutschland sind deren drei vorhanden: in Gotha, Leipzig und Lübeck. Die Prämien der ersten beiden sind einander gleich, und die der Lübecker Anstalt sind nur unbedeutend davon verschieden. Jene beiden sind sogenannte gegenseitige Gesellschaften, bei denen die Gesammtheit der Versicherten jedem Einzelnen die Erfüllung seines Vertrags mit der Anstalt verbürgt; bei der Lübecker aber, welche von sogenannten Actionairen (kaufmännischen Unternehmern) begründet wurde, sind di ese die Bürgen oder Verträge, und beziehen dafür die Hälfte des sich aus dem Geschäft herausstellenden Gewinns, während der sich bei den Anstalten in Gotha und Leipzig ergebende Ueberschuß (Dividende) ganz den Versicherten zufließt. Dieser Gewinn betrug bei der Gothaer Anstalt, welche bereits drei Dividenden zur Vertheilung gebracht hat, zwischen 1/5 und ¼ eines Jahresbeitrages, so daß also wer 100 Thlr. Prämie bezahlt hatte, zwischen 20 und 35 Thlr. davon zurückerhielt. Die Lübecker Anstalt versichert auch Kapitale auf das Leben von Kindern, und zahlt dieselben aus, wenn sie das 21. Jahr erreicht haben (sogenannte Steuerversicherungen). Die höchsten und niedrigsten Summen, welche auf ein Leben versichert werden können, sind in Lübeck 30,000 und 300 Mark, in Gotha 8000 und 300 Thlr. und in Leipzig 5000 und 300 Thlr. Man kann also, wenn man zugleich alle 3 Anstalten benutzt, zusammen ungefähr 25,000 Thlr. auf ein Leben versichern lassen. Die genannten Gesellschaften haben Agenten in allen bedeutenden Städten Deutschlands, bei denen sich die, welche Versicherungen suchen, persönlich[311] vorstellen müssen, und welche über alles Erforderliche Auskunft geben und den Abschluß des Vertrags vermitteln. Für das Königreich Hannover besteht eine besondere Lebensversicherungsanstalt, welche in ihrer Einrichtung von den früher genannten verschieden und mehr einer Leichenkasse ähnlich ist, indem am Ende des Jahres die für Sterbefälle zu zahlende Summe ermittelt und auf die Mitglieder vertheilt wird.

.....r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 306-312.
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