[218] Pisani, Christina, eine berühmte Frau, ausgezeichnet durch Geist und Gelehrsamkeit, und der Bewunderung der Nachwelt besonders darum würdig, weil sie in einer Zeit glänzte (gegen Ende des 14. und zu Anfang des 15. Jahrh.), wo die wissenschaftlichen[218] Hilfsmittel verhältnißmäßig sehr gering waren. Christina hatte einen gelehrten Vater, der als Mathematiker und Astrolog, dann als Besitzer einer Büchersammlung von 900 Bänden, damals ein seltener Schatz, von den gleichzeitigen Fürsten ausgezeichnet wurde. Wegen seiner Bibliothek namentlich suchte ihn Karl V. von Frankreich zu gewinnen und gab ihm eine Stelle im Staatsrathe. Christina wurde von da an auf eine glänzende Weise am Hofe des Königs erzogen, erhielt von der Hand des Fürsten einen jungen Ritter, seinen Geheimschreiber, zum Ehegemahl, und ihr ganzes Leben gestaltete sich sonnenhell und blumenreich. Da starb 1380 ihr Beschützer, Karl V., und sein Nachfolger verwies den gelehrten Pisani vom Hofe. Der edle Greis starb schon nach wenigen Jahren. Zwar erhielt sich Christina's Gatte in der Gunst des Königs, aber schon 1389 riß ihn der Tod aus ihren Armen, und sie stand nun allein mit drei verwaisten Kindern. Aber die junge Witwe hatte nicht nur ihre Sitten, sondern auch ihren Geist ausgebildet, und sich unter der Leitung ihres Vaters einen seltenen Schatz von Kenntnissen erworben. In einem Alter von 34 Jahren griff sie zur Feder und schrieb binnen sechs Jahren 15 große Bände Gedichte für Kinder, Prinzen, Verliebte, Freunde des Schauerlichen und Mährchenhaften. Aus allem, was sie schuf, schimmerte ihre sanfte, liebende Seele, ihr weiches Herz, ihre leicht erwärmte Phantasie hervor. Ihre Lage war indeß keine glänzende; allein ihr sanfter Charakter, ihr bescheidener Sinn wußte sich auch in jede Art von Entbehrungen zu finden, und außerdem war ihr ein theuerer Freund geworden; Graf Salisbury, englischer Botschafter am franz. Hofe, der sie nicht nur großmüthig unterstützte, sondern auch seinem Könige empfahl, und ihren Sohn nach England nahm, wo er ihn erziehen ließ und wohin die Mutter später nachfolgen sollte. Aber schon fünf Jahre nachher verlor Salisbury in Folge eines Complottes zu Gunsten des gestürzten Richard II. gegen Heinrich IV. das Leben. Der neue König übernahm zwar[219] alle Verpflichtungen des Grafen gegen die berühmte, auch von ihm verehrte Frau, sandte zwei Herolde nach Frankreich und ließ Christina auffordern, ihren Aufenthalt in England zu nehmen. Wie aber konnte die Zartfühlende aus den Händen, die ihr den treuesten Freund geraubt, die sich mit seinem Blut befleckt, Geschenke und Wohlthaten annehmen? Sie berief ihren Sohn zurück und blieb in Frankreich, wo sie ihre Abneigung gegen den grausamen König offen zu erkennen gab. Ihr edler Sinn, den sie hier so uneigennützig bewiesen, wurde belohnt. In der Person des Herzogs von Burgund, Philipp's des Kühnen, ward ihr ein neuer Beschützer. Ihr Todesjahr, so wie das Schicksal ihrer drei Kinder, ist völlig unbekannt; nur in ihren eigenen Schriften finden sich dürftige Nachweisungen über ihre Schicksale. Wie hoch aber diese Frau nicht nur als Dichterin, sondern als Erziehungsschriftstellerin stand, beweist der Umstand, daß der pädagogische Theil ihrer Schriften sich zwei Jahrhunderte lang im größten Ansehen behauptete. Sie war die Beaumont, die Genlis dieses Zeitraumes. Noch im 16. Jahrhunderte war ihr »Chemin de long étude« ein Lieblingsbuch. Sie behandelte darin in unterhaltender Form Mythologie, Astronomie, Geographie, Philosophie etc. Eben so reichhaltig, phantastisch zusammengetragen und dargestellt ist ihre »Cité des Dames«, ein Sittenspiegel und Weisheitsschatz für die höhere weibliche Welt. Ihre Lehren verwebte sie, wie es der damalige Geschmack für schön und anziehend erachtete, mit Mythologie, Geschichte und Astrologie. Für den ältesten Sohn des Herzogs von Orleans, den Bruder Karl's VI., schrieb sie ein poetisches Bilderbuch. Als Vorläufer des Fénélon'schen Telemach kann ihr »Roman d'othea« gelten. Auch für ihre Kinder verfaßte sie moralische Abhandlungen.
n.