Puppen

[310] Puppen. Wer erfreute sich in seiner Kindheit nicht an diesem Spielzeuge! Das kleine Mädchen übt an der an's Herz gedrückten Puppe zuerst die heilige Empfindung der Mutterliebe. Die Puppe ist ihr Kind; sie widmet ihr dieselbe Sorgfalt, welche man auf sie selbst verwendet; ihr Spiel ist der treueste Spiegel ihrer jüngsten Vergangenheit, und nicht selten auch der der fernen Zukunft. Darum gibt es kein gutes Vorzeichen, wenn sie die Puppe mit Vergnügen schlägt, ihre Gewänder zerzaust und ordnungslos herumhängen läßt, oder im Gegentheile verächtlich über ihren schön geputzten Liebling auf den Wechselbalg des ärmern Kindes schaut. Nicht wenig fehlerhaft handeln andererseits Mütter, die, um ihr Töchterchen nur ja baldigst zu Tanz und Toilette führen zu können, ihm früh schon das liebe Puppenspiel rauben. Eine lange, freudige Kindheit ist das größte Glück im Leben, und gern wird das Mädchen, welches noch im zwölften Jahre die Nadel empfing und geschickt [310] für ihre Puppe führte, dieselbe binnen Kurzem für ernstere Zwecke gebrauchen. Statt des leeren Herumschlenderns mancher Gespielin, die bereits von Bällen u. s. w. träumte und die Jungfrau affectirte, hat sie an der Puppe arbeiten und erfinden gelernt, und wird noch früh genug das süße Spiel bei Seite legen, ohne sich seiner schämen zu dürfen. Schade wäre es auch wirklich, wenn die wunderhübschen Puppen, die Paris, London, Berlin und Wien liefern, nur die Bestimmung hätten, von ganz kleinen Kindern zerrissen zu werden. Die fortschreitende Industrie hat in neuerer Zeit auch in dieser Branche so vieles verbessert, und wenn die nürnberger und wiener Gelenkpuppen ausgezeichnet zu nennen sind, so finden wiederum die seinen Lederpuppen Frankreichs wegen schönerer Formen den Vorzug. Ein niedlicher Einfall ist es auch, Seide oder wirkliches Haar den Puppenköpfen anzuleimen und dadurch der Phantasie der kleinen Mädchen ein neues Feld zu eröffnen. Sie mögen daran flechten und coissiren lernen und mit den gewöhnlichen Puppenköpfen von papier maché zufrieden sein, ohne nach den kostbarern und vergänglichern von Gyps und Wachs zu verlangen.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 310-311.
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