[217] Sévigné, die Marquise von, geborene von Rabutin Chantal, einzig und unnachahmlich in der Art ihres Briefstyles, hat mit Recht jene Berühmtheit erlangt, die weder die Mit-noch die Nachwelt ihr streitig machen kann. Innig von dem Gegenstande durchdrungen, den sie beschreibt, weiß sie allen, auch den geringfügigsten, Dingen eine belebende Farbe mitzutheilen. Diese Lebhaftigkeit[217] ihrer Phantasie, das zarte, weiche Gefühl, von dem sie selbst stets beseelt ist, spricht aus jeder ihrer Schriften, die eben deßhalb, obwohl sie nicht selten dasselbe wiederholen, nie ermüden. Frau von S. erblickte das Licht der Welt den 5. Februar 1627 in dem alten Schlosse von Boubilly in Burgund. Den Vater verlor sie in früher Kindheit; ihre Mutter, Marie von Coulanges, leitete ihre Erziehung und suchte durch zweckmäßigen Unterricht die mannigfachen Fähigke:ten ihres Geistes zu entwickeln und zu vervollkommnen. Die Schriftsteller Griechenlands und Roms waren ihre Erholung, und Ménage und Chapelain eröffneten ihr das Gebiet der schönen Literatur, in der sie einst selbst eine so ausgezeichnete Rolle spielen sollte. Von ihren ersten Jugendjahren ist uns nichts bekannt, als die wenigen Worte, die sie selbst in einem ihrer Briefe darüber sagt, daß sie dieselben in dem hübschen Dorfe Sucy, vier Meilen von Paris, in friedlicher Stille zubrachte. Erst bei ihrem Erscheinen an dem glänzenden Hofe Ludwig's XIV. trat sie aus der sie umgebenden Dunkelheit. Hier finden wir sie in den ausgesuchtesten Cirkeln der Hauptstadt, wo sie bald mit der ihr eigenen liebenswürdigen Lebhaftigkeit des Geistes auch noch die Grazie und Leichtigkeit der großen Welt verband. Sie wußte zu gefallen, ohne herrschen zu wollen, zu glänzen, ohne zu blenden. Ihr Aeußeres, obwohl nicht regelmäßig schön, war voll Anmuth und Lieblichkeit; ihr Charakter sanft und mild, was sie im Laufe ihres Lebens oft genug bewies. Noch nicht 18 Jahr alt, vermählte sie sich mit Heinrich, Marquis von Sévigné. Dieser ließ seine geistreiche und gefühlvolle junge Gemahlin auf einem einsamen Landgute ihr Leben vertrauern, um desto ungestörter seinen niedrigen Vergnügungen nachzuhängen; er fiel nach 7 Jahren in einem Duell, in welches er wegen einer Liebes-Intrigue verwickelt wurde. Dennoch betrauerte Frau von S. ihren Gatten aufrichtig, und konnte sich nie zu einer zweiten Verbindung entschließen. In der Blüthe ihrer Jahre stehend, von den Schmeicheleien und Huldigungen der großen Welt[218] umgeben, mußten doch selbst ihre Feinde, neben der Bewunderung ihres Talentes, wie ihres Geistes, der Reinheit ihrer Sitten die aufrichtigste Verehrung zollen. Sie lebte auch jetzt den Studien, die ihr früher Trost und Stütze gewesen waren. Was die zärtlichste Muttersorge nur immer vermag, das leistete Frau von Sévigné in der Erziehung ihrer beiden Kinder. Ihr Sohn zeichnete sich durch alle jene Eigenschaften aus, die den Ruf eines Mannes von Welt begründen; ihre Tochter, die sich 1663 mit dem Grafen von Grignan vermählte, war der würdige Zögling einer so geistreichen Frau. In dem Briefwechsel mit dieser ist es, wo Frau von S. ihre ganze eigenthümliche Liebenswürdigkeit, das Feuer ihrer Seele auf's Zarteste und Schönste entfaltet, und mit Recht werden diese Briefe als der Glanzpunkt ihrer Werke betrachtet. Von der Natur reich ausgestattet, verband sie mit zartem, innigem Gefühle für alles Gute und Schöne, ausgezeichnetes Genie, das ihr, wäre sie den Eingebungen desselben unbedingt gefolgt, vielleicht eine glänzendere Bahn eröffnet haben würde, als die war, welche sie betrat; aber sie überließ sich dem Zuge ihres weich fühlenden Herzens und schuf sich eine eigene Art und Form des Ausdruckes ihrer Empfindungen und Ansichten: die des Briefstyles, in dem sie noch jetzt als nachahmungswürdiges Vorbild glänzt. Fern von jener Ziererei, oder jenem Wortschwülste der meisten Schriftsteller ihrer Zeit, wie eines Balzac, Voiture und Rabutin, tragen die Schriften der Frau von S. alle das Gepräge natürlicher Anmuth. S. gab dem immer weiter um sich greifenden verdorbenen Geschmack ihrer Nation eine andere Richtung. Ihr Styl ist leicht, und dennoch reich an Bildern; vertraulich, ohne je in's Niedrige überzugehen; sein, ohne Ziererei; kurz, doch nicht trocken; bestimmt, ohne kalt zu sein; voll Aufschwung, doch ohne den reinen, klaren Gedanken durch überflüssige Worte zu überladen. Zu dem wird alles, was sie sagt, durch eine ihr eigenthümliche Munterkeit beseelt, die ihr Gemüth, selbst in der Tiefe stiller Zurückgezogenheit, stets beibehielt. Diese Natürlichkeit [219] und Leichtigkeit der Wendungen sind es, die den Leser auf der ersten Seite bezaubern, und an der ihre Nachahmer meist scheitern, denn gewiß ist es weniger schwierig, dem Erhabenen, als dem Einfach-Schönen treu zu bleiben. Die Briefe an die Frau von Grignan, ihre heißgeliebte Tochter, sind uns zugleich der schönste Beweis ihrer mütterlichen Zärtlichkeit und ihres gebildeten und veredelten Geistes und Gemüthes; obgleich sie den Ausdruck der Trauer über die Trennung von der Tochter durch 10 Bände fortzuspinnen weiß, und sich der Inhalt derselben in wenige Zeilen zusammenfassen ließe, ermüdet die Darstellung ihrer Empfindungen wie ihrer Betrübniß den Leser niemals. Der Gedanke, die Tochter bei sich zu sehen, oder der Plan einer Reise zu ihr, die ihrem Gemahle in die Provence gefolgt war, beschäftigte Frau von S. in den letzten Jahren ihres Lebens fast unausgesetzt. Im Mai 1694 machte sie ihren letzten Ausflug dorthin, wo sie noch der Vermählung ihres Großsohnes und ihrer liebenswürdigen Großtochter, unter dem Namen Simiane (s. d.) bekannt, beiwohnte. Ihre Freude ward durch die gefährliche Krankheit getrübt, welche Frau von Grignan an den Rand des Grabes brachte. Mit der unermüdetsten Sorgfalt wachte sie am Krankenbette der geliebten Tochter; diese genas, aber die Anstrengung, die Seelenangst, die Frau von S. ausgestanden hatte, warfen nun sie darnieder, und beschleunigten vielleicht ihren Tod, der sie im hohen Alter von 70 Jahren, aber noch in voller Geistes- und Körperkraft, ereilte. Ihre irdischen Ueberreste ruhen in der Kirche von Grignan. Was nun der Frau von S. offenbar zum größten Ruhme gereicht, ist, daß alles, was sie schrieb, was ihr zugleich in der französischen Literatur die Unsterblichkeit sichert, absichtslos aus ihrer Feder floß, und sie ganz gewiß weit von dem Gedanken entfernt war, daß ihre flüchtig geschriebenen Briefe je die Nachwelt entzücken würden. Bussy-Rabutin übergab zuerst 1696 einige Briefe der Frau von S. der Oeffentlichkeit, die mit großem Beifall aufgenommen wurden. Drei neue Ausgaben ihrer Briefe in zwei Bänden erschienen 1726. Unter den[220] vielen theils vermehrten und verbesserten Auflagen, die in den folgenden Jahren bekannt gemacht wurden, nennen wir nur noch die Ausgabe, wodurch Herr von Mommerqué das Publikum erfreute; sie ist nicht allem die vollständigste und treuste, sondern enthält auch noch außerdem eine Uebersicht der Verhältnisse, der Familie und Freunde, das Bildniß und ein Facsimile der Verfasserin. Deutschen Leserinnen, welche sich im französischen Briefstyle vervollkommen wollen, ist die Kenntniß der Werke der Frau von Sévigné, auch abgesehen von den vielfach andern Quellen der Belehrung, unentbehrlich.
E. v. E.