Sevilla

[221] Sevilla. In einer reizenden Ebene am Guadalquivir, dem Goldstrome Spaniens, sonnt sich die üppigere Nebenbuhler Madrids, die berühmte und einst so glänzende Hauptstadt des reizenden Königreichs gl. N, das jetzt kaum noch von 100,000 Ew. belebte, uralte S., – jenes S., einst der gefeiertste Sitz der kunstliebenden Araber, welches in seiner Blüthenzeit hinter der Schutzwehr seiner zwiefachen Mauer 400,900 fleißige Bewohner zählte! Doch noch immer fordern uns seine alten Prachtgebäude zur Bewunderung auf; nennen wir nur zuerst den prachtvollen Dom, wo durch den Silberschimmer des christlichen Kreuzes noch der entthronte Halbmond seine melancholischen Strahlen wirft. Zwei und achtzig Altäre, von den trefflichsten und seltensten Kunstwerken verziert, spenden dem Allmächtigen darin ihren Weihrauch, während 22 Glocken die Gläubigen zum Gebete rufen und eine Orgel von 5000 Pfeifen die Gottesworte der Messe gen Himmel trägt. Ein geschmackloses Monument bezeichnet die Stelle, wo endlich der wanderungslustige Columbus von so vielen Gefahren, Mühseligkeiten und Anfeindungen ausruhen sollte. Wenden wir uns sodann zu dem »Alkazar,« dem alten maurischen Königspalaste, der in seinem neugetünchten Ueberkleide wie ein stahlgepanzerter Ritter unter einem schwarzseidenen Domino erscheint, und wo um's Jahr 1478 die Inquisition ihren ersten Hexensabbath feierte;.... doch hinweg von so düstern Gräuelscenen, fort auf die »Alameda,« jenen erquickenden[221] Spaziergang, welcher durch vier dichte Alleen und sechs kühlende Fontainen fächerartig den Brand der Mittagshitze mildert. Hier hält der Majo (s. d.) seine Siesta und träumt selig von der geliebten Maja, die erst mit der Dämmerung auf etliche Minuten der mütterlichen Obhut entflattern darf; hier lagert der schläfrige Maulthiertreiber in gedankenloser, behaglicher Ruhe; hier rauscht die Mantilla der auch in der Larve schmetterlingflüchtigen Donna neben dem Rosenkranze der intriguirenden Duenna, neben dem Degen des zärtlich-zerfließenden Cavalleros, neben dem Scapulier des eifersüchtigen Priesters; – hier strömt die unergründliche Hippokrene für das schaffende Genie eines Cervantes, Calderon oder Lope de Vega, für das drastische Talent eines Lesage. Doch weiter, – nach dem Aquäducte, los Caños de Carmona genannt, dessen 400 Schwibbegen gleich einem nordischen Tempel die eingeborene Gottheit der Erde, das kühlende Quellwasser, mächtig umwölben; nach dem »Amphitheater,« das drittehalbhundert F. im Durchmesser hat, in dem jetzt aber seltener die Picadores und Bandevilleros die Tragikomödie ihrer Stierhatz zur Nationalschau bringen, oder zu dem »Giraldathurm,« dem schönsten und höchsten auf der pyrenäischen Halbinsel; oder auf die Börse, in welchem die Documente der span. Entdeckungsreisen aufbewahrt werden, – und nur noch im Fluge einen Blick dem großartigen Gebäude der königl. Tabakfabrik, dem alten Stadthaus und dem herrlichen Palaste des Erzbischofs! 12 Thore, 29 Pfarrkirchen, 32 Klöster, eine ziemlich frequentirte Universität, eine Schifffahrtschule und eine Akademie der schönen Künste vervollständigen das Panorama der interessanten Hauptstadt, welche noch immer einen ziemlich lebhaften, durch die hier befindliche Dampfschifffahrtsgesellschaft des Guadalquivir neuerdings wieder beförderten Handel, namentlich mit Südfrüchten, treibt, und wichtige Fabriken in Seide, Leder etc. unterhält.

P.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 221-222.
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