Spinnen (Technologie)

[355] Spinnen (Technologie). Arachne, die kunstfertige Weberin, wurde nach der Mythe von der neidischen Pallas in eine Spinne verwandelt, doch auch in dieser häßlichen Metamorphose endete die Thätigkeit der Arbeitsamen nicht. Sie war und blieb das Sinnbild weiblichen Fleißes, das Muster der Weberin und Spinnerin, denn um weben zu können, müssen die Fäden zuvor gesponnen sein. Die Fürstinnen des Alterthums ließen dieß Geschäft von den Sclavinnen und Mägden verrichten und behielten sich selbst das unterhaltendere Weben vor. Das Produkt der zahlreichen Schafheerden jener klassischen Könige, die jetzt nur wohlhabende Gutsbesitzer wären, die Wolle, lieferte den ersten Stoff zum Spinnen. Man verstand sie meisterhaft zu bleichen und roh zu färben. Purpurwolle spannen selbst die Herrinnen; wie sie mit dem Golde, von dem die alten Schriften sprechen, zu rechte kamen, ist unbekannt geblieben. Flachs und Baumwolle kamen später an die Reihe, so wie erst in neuerer Zeit die Rädchen statt der Spindel. Aegypterinnen, Griechinnen, hebräische Frauen, kurz alle die in der patriarchalischen Hirtenzeit lebten, führten fleißig die Spindel mit den Dienerinnen um die Wette; nur die stolzen Römerinnen befaßten sich sogar in ihrer ursprünglichen Einfachheit nicht[355] damit Selbst Lucretia, die vollkommene Hausfrau, theilte bei der berühmten Ueberraschungsscene nur Flachs und Baumwolle zum Spinnen unter die Sclavinnen. Längst nach Roms Falle, als schon das üppige, griechische Kaiserreich, wo die Häuslichkeit ohnedem wenig galt, gestürzt war, als nach den wilden Verheerungszügen der Barbaren die Christenheit wieder ruhig athmete und wir die Ritterfrauen in der Einsamkeit ihrer Schlösser sehen, da trat auch die Spindel wieder in ihre Rechte Allenthalben spann man, und Italien bewahrt noch heut ein jene Zeit zurückrufendes Sprüchwort: non è piu il tempo che Berta filava Diese Bertha soll nach Einigen die Gemahlin Kaiser Heinrich's IV. gewesen sein, die selbst beim Spazierenreiten an einem durch den Sattel gesteckten Rocken spann, nach andern eine lombardische Bäuerin, die sich durch vorzügliches Gespinnst auszeichnete und nebenbei sehr schön und tugendsam war. Schon Karl der Große ließ seine Töchter spinnen lehren »damit sie, nach seinem eigenen Ausdrucke, ihren Unterhalt erwerben könnten, wenn sie verarmten.« Seine eigene Gemahlin, die von ihrem Brautführer im waldigen Gebirge schlafend verlassen wurde, um seine Tochter an ihrer Statt dem Kaiser als Frau hinzubringen, hatte die Erfahrung gemacht, wie nützlich es sei, mehr zu verstehen, als die große Dame zu spielen. Armen Köhlern, welche die Unbekannte aufnahmen und jahrelang bis zum endlichen Auffinden durch den getäuschten Kaiser bei sich behielten, war ihr Fleiß ein Segen, und die Spindel der Kaiserbraut verbreitete Wohlstand in der niedern Hütte, die ihr Prüfungsort geworden war. Freilich könnte dergleichen jetzt nicht mehr vorkommen: immer aber wird eine so nützliche Frauenarbeit, wie das Spinnen, besonders auf dem Lande, nur mit Unrecht bloß in die Gesindestube verwiesen Unsere guten, deutschen Ahnfrauen gefielen sich unendlich im Aufhäufen des herrlichsten Linnens, das sie zum großen Theil selbst gesponnen, und das alte Liedchen:

Eine Nähnadel und Spindel,

Eine Wiege und Kindel,

[356] Ein Rocken und Spinnrad,

Ist der Eh'frauen Hausrath,

war ernste Wahrheit in deutschen Landen. Es ist kaum zu denken, daß jemals eine Rückkehr zu dem frühern, stillen Familienwalten stattfinden dürfte, auch wollen wir gegen die vielen, schönen Arbeiten unserer jetzigen Frauenwelt nicht eisern, aber zu bedenken ist es wohl, daß damals, als die Spindel inweißer Hand tanzte und das Rädchen unterm seinen Schuh schnurrte, mehr häusliches, das soll heißen Eheglück allgemein war.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 355-357.
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