Tieck, Ludwig

[137] Tieck, Ludwig. An den Namen Tieck's knüpfen sich schöne [137] Erinnerungen. Es gab eine Zeit, wo keine Gesellschaft zusammentrat, ohne mit Tieck zu liebäugeln. Vornehm und Gering haderte mit einander über den Werth oder Unwerth der romantischen Poesie, als deren Gründer Tieck und die Gebrüder Schlegel genannt wurden. Die Verdienste, welche sich Tieck um die Einführung des mystisch-christlichen Elementes in die Poesie erworben hat, wird Jedermann gern zugestehen. Er fühlte von Jugend auf das Bedürfniß in sich, das Poetische mehr innerlich mit dem Gemüthsleben des Menschen in Verbindung zu bringen, und vernachlässigte deßhalb in seinen früheren und frischesten Producten oft über die Gebühr die Form. Ganz im Gegensatz zu dem Antiken, das in Göthe seinen ruhig besonnenen Repräsentanten fand, baute Tieck das Mittelalterliche in der Neuzeit wieder an, und führte echt deutsche Stoffe der Poesie zu, die seit langer Zeit als völlig verloren gegangen betrachtet wurden. Er stieg hinab in die blendend funkelnden Schachten der schauerlichen Sagen, die Mährchenwelt mit ihrem Glanz und dem hinreißenden Reiz der Anmuth und Kindlichkeit mußte ihm dienen, um an sie den Reichthum seiner Gemüthsanschauungen zu verschwenden. Das Mährchen erlangte durch Tieck erst Bedeutsamkeit und entwickelte allen Tiefsinn, der in ihm liegt, ohne deßhalb von dem Dufte auch nur das Geringste zu verlieren, ohne den es als nichtig in sich selbst zerfallen würde. So schuf Tieck seine »Genofeva,« »Kaiser Octavian,« »Fortunat,« und die Reihe aller jener Mährchen, die unter dem Titel »Phantasus« wie eine Perlenschnur an die erzählenden Worte künstlerisch gesinnter Freunde aufgereiht sind. Früher hatte sich T. bereits in Romanen von eigenthümlicher Form und Färbung versucht, die theils das Dämonische der Menschennatur etwas schroff zur Erscheinung brachten, wie im »William Lovell,« oder sich in das Gemüthsleben der altdeutschen Vergangenheit versenkten, und hier die Kunst vereint mit der Liebe zur Göttin des Lebens erheben, so in »Franz Sternbald's Wanderungen,« an deren Ausarbeitung Tieck's früh verstorbener[138] Freund Wackenroder bedeutenden Antheil gehabt haben soll. Zu gleicher Zeit ergriff T. mit Eifer das Studium des Spanischen und drang namentlich tief ein in den Geist des unübertrefflichen Cervantes, dessen »Don Quixote« er in einer trefflichen Uebersetzung den Deutschen erst genießbar machte. Cervantes' Geist fand in Tieck viel gleichnamige Elemente vor. Der Dichter, in dessen Brust ein seiner Humor mit oft aristophanisch beizender Satyre nach Luft rang, trat polemisch gegen die Philisterei der Kunstbeurtheiler auf, und schuf in diesem Sinne die unübertrefflichen Schaustücke »der gestiefelte Kater,« »die Reise nach dem guten Geschmack« oder »Prinz Zerbino« und »die verkehrte Welt,« in denen der literarische Pöbel der damaligen Zeit nicht eben geschont ward. Später trat er mehrere Reisen an, ging nach Italien, nachdem er sich zuvor in Hamburg mit einer Tochter des Pastors Alberti verheirathet hatte, und verlebte längere Zeit in Rom, nur dem Kunstgenusse und dem Umgange mit geistesverwandten Freunden sich hingebend. Aus Italien zurückgekehrt hielt er sich eine Zeitlang in München auf, wo er zuerst der Gicht erlag, an der er späterhin oft und schmerzlich leiden mußte. In dieser Zeit dichtete er theils heitere Lieder, theils wandte er sich dem Studium Shakespeare's zu. Der gewaltige Geist dieses Dichters veranlaßte T. nach England zu gehen, um dort nach Schätzen zu forschen, die manch helleres Licht auf das vielfache Dunkel werfen könnten, das noch immer über dem Leben und Werken dieses größten Dramatikers aller Jahrhunderte liegt. Seine Ausbeute war nicht unbedeutend und ihr verdanken wir die beiden Bände, »Vorschule zu Shakespeare,« denen ein dritter noch folgen soll. Ueberhaupt wandte T. sich immer mit besonderer Vorliebe dem Drama zu, obwohl er selbst nie mit Glück darin debutiren konnte und das Publikum im Allgemeinen wenig auf seine ernsten Bestrebungen achtete. Seine spätere schriftstellerische Thätigkeit widmete T. fast ausschließlich der Hervorbringung jener Reihe von meisterhaften Novellen, die er seit der Mitte der[139] zwanziger Jahre theils in Taschenbüchern zerstreut, theils gesammelt erscheinen ließ In diesen gab er sich einer seiner früheren Schriftstellerperiode ganz entgegengesetzten Richtung hin, indem das Uebersprudelnde der Laune, das alle Formen unter lustigem Jauchzen zerbrach, hier in epischer Ruhe sich eindämmen läßt, und nur im heiteren Conversationstone, bald in Ernst sich hüllend, bald mit dem Schellengeläut eines ungemein geistreichen Humors geschmückt alle Phasen des civilisirten Gesellschaftslebens durchwandert. Die Handlung ist meist sehr einfach, oft kaum bemerkbar, dagegen bewegt der Tiefsinn der Redenden, die fast immer mehr oder weniger mit Sachen der Kunst gut befreundet sind, ein jedes Gemüth und umstrickt es mit seinen Zaubern. Hierin ist Tieck am größten, und seine Novellen »Dichterleben,« »der Hexensabbath,« »des Dichters Tod,« und der »Cevennenkrieg,« in dem er das Muster einer novellistischen Behandlung der Geschichte aufstellte, werden nie veralten. Tieck lebte in dieser Zeit in Dresden, wo er zugleich die Stelle eines Dramaturgen beim königl. Hoftheater erhielt, und als Frucht derselben vor mehreren Jahren seine »dramaturgischen Blätter« veröffentlichte, die ihm jedoch wenig Dank einbrachten. Abgeschlossen fast immer kränkelnd, hat der greise Sänger einen gebildeten Kreis edler Kunstfreunde um sich versammelt, denen er an gewissen Tagen mit der bewundernswürdigen Virtuosität seines biegsamen Organes und hohen Talentes bald fremde, bald eigene, meist dramatische, Producte, vorliest, und so Manchen den unseligen Zustand unserer Bühne vergessen macht. In der letzten Zeit, die so vielfache literarische Stürme hervorbrachte, fand T. sich wieder bewogen, polemisch aufzutreten, allein mit sehr wenig Glück. Die Abgeschlossenheit, in der er lebt, hat ihn mancherlei übersehen lassen, wodurch in seinem Auge sich ein unschönes und unwahres Bild von Leben und Literatur gestaltete. Die Angriffe gegen die literarische Jugend dienten nur dazu, seine Verdienste zu schmälern, und die eigenen Productionen, den »jungen Tischlermeister« selbst nicht ausgenommen, konnten ihm[140] die gesunkene Autorität nicht wieder verschaffen. Tieck wurde zu Berlin geboren am 31. Mai 1773, und lebt jetzt als königl. sächs. Hofrath und Ritter des Civilverdienstordens der bairischen Krone in Dresden.

W......m.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 137-141.
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