Bedürfnis

[121] Bedürfnis ist alles, was ein Wesen bedarf, zur Erhaltung und Steigerung seiner Existenz braucht, benötigt (B. im objectiven Sinne), zugleich das [121] Bewußtsein (Gefühl) einer Unzuträglichkeit, verbunden mit dem Streben nach deren Beseitigung (B. im subjectiven Sinne). Es gibt körperliche und geistige, materiale und functionelle Bedürfnisse.

Nach KANT ist Bedürfnis das Verhältnis eines lebenden Menschen zu dem nötigen Gebrauche gewisser Mittel in Ansehung eines Zweckes. Nach HILLEBRAND ist Bedürfnis »die ewige Selbstforderung des Individuums, eine endliche Hypostase zu haben, um eine unendliche Richtung seiner Tätigkeit nehmen zu können« (Phil. d. Geist. II, 105). Nach HERMANN ist Bedürfnis »das Gefühl eines Mangels mit dem Streben, ihn zu beseitigen« (bei O. KRAUS, Das Bed. S. 8). Nach MEINONG hat man ein Bedürfnis »nach demjenigen, was mir abgeht, wenn es nicht vorhanden ist« (Werttheor. S. 7). Nach R. WAHLE entsteht durch Störung des gewohnheitsmäßigen Ablaufs der Vorstellungen eine »Unruhe«. »Diese Unruhe bezüglich einer Vorstellung und das Bewußtsein, daß sie durch eine gewisse Vorstellung behoben würde, nennen wir das Bedürfnis, die Vorstellung ruhig, ohne Trübung klar zu besitzen« (Das Ganze d. Phil. S. 371). A. DÖRING bestimmt das Bedürfnis (»Erfordernis«) als Erfüllung der Erhaltungsbedingungen des Organismus, subjectiv als Bewußtsein dessen (Philos. Güterlehre S. 74 ff.). JERUSALEM unterscheidet (wie DÖRING l.c. S. 77 ff.) körperliche und seelische Bedürfnisse; die körperlichen zerfallen in stoffliche und functionelle Bedürfnisse, unter welchen ein Verlangen der Organe nach Betätigung zu verstehen ist. Die seelischen Bedürfnisse sind durchaus functioneller Natur, sie gliedern sich in intellectuelle und emotionelle Functionsbedürfnisse (Lehrb. d. Psych. S. 160 f., s. Ästhetik). Mit anderen betont IHERING die sociale Bedeutung der Bedürfnisse. Das Bedürfnis ist »das Band, mit dem die Natur den Menschen in die Gesellschaft zieht« (Zweck im Recht I, 107). Vgl. Ästhetik, Sociologie, Trieb.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 121-122.
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