Disposition

[226] Disposition: 1) Logische D. – methodische Anordnung von Begriffen und Lehrsätzen zur systematischen Darstellung. ARISTOTELES versteht unter diathesis die tou echontos merê taxis (Met. V 19, 1022 b). Die Logik von PORT-ROYAL definiert: »Dispositionem vocamus illam mentis operationem, per quam varias ideas, iudicia et rationes, quas de uno eodemque subiecto habemus, eo ordine disponimus, qui illi explicando maxime idoneus est« (p. 1 f.).

2) Psychophysische D. – Anlage des Organismus zu einer Tätigkeit, bestehend in einer bestimmten Anordnung oder potentiellen Energie körperlicher Elemente, in einer durch Übung entstandenen größeren Leichtigkeit und Sicherheit psychischer Betätigung. Es gibt ursprüngliche (primäre) und erworbene (secundäre) Dispositionen, onto- und phylogenetisch entstandene Anlagen. Ferner lassen sich unterscheiden intellectuelle, Gefühls-, Trieb- und Willens-Dispositionen. Die psychischen Dispositionen sind Nachwirkungen von Vorgängen, die nur in den erleichterten Acten des Bewußtseins zum Bewußtsein kommen, nicht aber selbständige Wesenheiten oder unbewußte Processe eigener[226] Art. Der Ausdruck »Disposition« ist seit HARTLEY gebräuchlich, »Spur« seit A. v. HALLER.

Angedeutet ist der Dispositionsbegriff schon bei PLATO (Theaet. 191 C) und ARISTOTELES (De an. III, 2). Eine Disposition zur Gewinnung von Allgemeinbegriffen nehmen die Stoiker an (CICERO, De fin. IV, 3; SENECA, Ep. 12O, 4). KLEANTHES, spricht von einer typôsis en psychê von einer heteroiôsis (alloiôsis) der Seele (Diog. L. VII, 50). PLOTIN führt die psychischen Dispositionen auf die Übung der Seele zurück (Enn. IV, 6, 3). Die Scholastiker sprechen von einer »intellectus dispositio«(ALBERTUS MAGNUS, Sum th. I, 15, 4)

In physiologischer Weise werden die Dispositionen schon von DESCARTES bestimmt. Sie bestehen in den »ideae materiales« (s. d.), unter welchen er Gehirneindrücke versteht, »species« (s. d.), denen die Seele sich zuwendet (De hom. p. 132; Princ. philos. IV, 196 f.). Diese Anschauung bilden MALEBRANCHE u. a. weiter aus; von REID u. a. wird sie bekämpft. HOBBES, identificiert die Dispositionen mit Bewegungen der Seele (De corp. 25, 3), LOCKE mit Bewegungsreihen der »Lebensgeister« im Zusammenhang mit der Übung (Ess. II, ch. 33, § 6). Als Nervenschwingungen erscheinen die Dispositionen bei HARTLEY und PRIESTLEY, bei CONDILLAC als dauernde Eindrücke im Nervensystem (Trait. d. sens. I, ch. 2, § 6). BONNET erklärt: »Plus les rapports de deux idées sont prochains, plus le rapport est prompt et facile. Ces rapports consistent dans une telle disposition des fibres ou des esprits, que la force motrice trouve plus de facilité à s'exercer suivant un certain sens que suivant tout autre« (Ess. de Psychol.c. 6). – In neuerer Zeit tritt die materielle Auffassung der Dispositionen (Anlagen) wieder auf bei MEYNERT und anderen Physiologen oder Anatomen, bei Associationspsychologen wie ZIEHEN. Nach ihm bleibt von jeder Empfindung in der Hirnrinde eine »materielle Veränderung«, eine »Spur« zurück, ohne psychischen Parallelvorgang (Leitfad. d. phys. Psychol.2, S. 109). Diese Spur denkt man sich am einfachsten als »eine bestimmte Anordnung in bestimmter Weise zusammengesetzter Molecüle der Ganglienzelle,... also als latente Disposition«, vermöge welcher sie »auf eine bestimmte Vorstellung abgestimmt« ist (l.c. S. 110). Dieses »latente Erinnerungsbild« hat seinen Sitz in einer von der »Empfindungszelle« verschiedenen »Erinnerungszelle« des Großhirns (l.c. S. 111 f.). – Auf die phylogenetische Übung als Quelle erworbener Dispositionen weisen H. SPENCER, SIMMEL u. a. hin.

Als functionell-psychische, bezw. zugleich physische Dispositionen werden die Anlagen wiederholt bestimmt. So von LEIBNIZ, nach welchem die Seele zu allem, was sie produciert, die Anlagen hat. Aber auch erworbene Dispositionen, als Residuen früherer Bewußtseinsvorgänge, die gewöhnlich nicht bewußt werden, sind der Seele zu eigen. Es steht fest, daß die Seele hat »des dispositions, qui sont des restes des impressions passées dans l'âme aussi bien que dans le corps, mais dont on ne s'apperçoit, que lorsque la mémoire en trouve quelque occasion« (Nouv. Ess.). Die primären Anlagen sind »tendances« (Strebungen) zu Handlungen. CHR. WOLF (der übrigens die Lehre von den »materiellen Ideen« acceptiert) definiert »dispositio« als »possibilitas acquirendi potentiam agendi vel patiendi« (Psychol. empir. § 426). PLATNER faßt die seelischen Dispositionen als »Fertigkeiten« auf (Phil. Aphor. I, § 239 U.). KANT spricht von einer »Angewohnheit im Gemüt«, die durch die wiederholte Folge der Vorstellungen entsteht (Anthrop. I, § 29 B). Zu den Anschauungs- und Denkformen[227] gibt es »Anlagen« im Bewußtsein. FRIES faßt die Disposition als »geschwächte Erkenntnis auf« (Syst. d. Log. S. 63). Gegen die Annahme von Residuen in »Fibern und Plätzen« ist HEGEL. Die Disposition besteht nach ihm in einem bleibenden, unbewußten Bilde. »Die Intelligenz ist aber nicht nur das Bewußtsein und Dasein, sondern als solche das Subject und das An-sich ihrer Bestimmungen, in ihr erinnert ist das Bild nicht mehr existierend, bewußtlos aufbewahrt« (Encykl. § 453). K. ROSENKRANZ nimmt angeborene Anlagen an (Psychol.3, S. 87). Das »Bild«, das die Anschauung hinterläßt, »bleibt in der Tiefe der Intelligenz aufbewahrt« (l.c. S. 344). Nach HERBART dauern die einmal entstandenen Vorstellungen in der Seele fort (Lehrb. z. Psychol.3, S. 10, 15 ff.), aber so, daß das wirkliche Vorstellen sich in ein »Streben, vorzustellen« verwandelt (l.c. S. 16). So auch nach WAITZ (Lehrb. d. Psychol. S. 81) und VOLKMANN (Lehrb. d. Psychol. II4, 399). BENEKE bezeichnet die Disposition als »Angelegtheit«, als seelische »'Spur«. Sie ist das, »was von früheren Seelenacten innerlich fortexistiert«, etwas Immaterielles. Die »Spur« ist das, »was zwischen der ersten Bildung und der Reproduction eines Seelenactes liegt«. Im Verhältnis zum folgenden Acte ist sie »Angelegtheit«, ein Gewordenes, eine functionelle Nachwirkung und Vorbildung für Neues (Pragmat. Psychol. I, 38 f.; Neue Psychol. S. 125; Lehrb. d. Psychol. § 27). Die Disposition ist ein »unbewußt Beharrendes« (ib.). Auch ABEL bezeichnet die Dispositionen als »Spuren« (Seelenl. § 139). J. H. FICHTE sieht in den Dispositionen unbewußte Tätigkeitsformen des Geistes selbst, »Fähigkeiten zur erneuerten Hervorbringung der bewußtlos gewordenen Vorstellung« (Psychol. I, S. 426). Nach ULRICI behält die Vorstellung auch als Disposition das Eigentümliche des Vorstellungsinhaltes (Leib u. Seele S. 489). Nach FECHNER sind die Dispositionen die Reste bewußter Tätigkeit; sie gehen »form- und richtunggebend in unsere ganze fernere bewußte Tätigkeit mit ein« (Zend-Av. I, 280 f.). LIPPS sieht in den Dispositionen unbewußte psychische Zustände; sie »erzeugen Vorstellungen, indem sie von anderen zur Tätigkeit erregt werden« (Gr. d. Seelenl. S. 96). WUNDT faßt die »Spuren« der Vorstellungen »nur als functionelle Dispositionen« auf (Grdz. d. phys. Psychol. II3, 274). In der Erleichterung des Wiedereintritts eines bestimmten Bewußtseinsvorgangs besteht physisch und psychisch die Disposition; die psychische Seite derselben ist aber unbekannt (l.c. S. 235; I, 222). Eine Erleichterung durch functionelle Dispositionen als Producte der Übung lehrt auch KÜLPE (Gr. d. Psychol. S. 455). Psychisch latente Dispositionen nimmt HÖFFDING an (Psychol. S. 94 ff.). Functionelle Dispositionen gibt es nach BRENTANO (Psychol. I, 77 f.), A. MEINONG, WITASEK (Arch. für system. Philos. III, 273), JAMES, SULLY (Handb. d. Psychol. S. 55), JODL u. a. Nach EBBINGHAUS entsprechen den physischen Dispositionen des Nervensystems psychische Dispositionen (Psychol. I, 53). W. JERUSALEM betont den unanschaulichen Charakter der psychischen Disposition. Diese ist »ein Hülfsbegriff, der nach der Analogie des Begriffes der potentiellen Energie gebildet ist« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 30). Er unterscheidet primäre und secundäre, angeborene und erworbene Dispositionen (l.c. S. 31). Vgl. Gedächtnis, Association.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 226-228.
Lizenz:
Faksimiles:
226 | 227 | 228
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon