[146] Psychisch (psychê, Seele): seelisch, geistig (s. d.). Das Psychische ist das, was als Eigenschaft, Zustand, Tätigkeit der Seele (s. d.) gilt, und der Begriff des Psychischen ist verschieden je nach dem Seelenbegriffe, ferner je nach der erkenntnistheoretischen oder metaphysischen Auffassung des Physischen, Körperlichen (s. d.). Das Psychische gilt bald als vom Physischen principiell verschieden und selbständig, bald als abhängig vom Physischen, als Begleiterscheinung, Product desselben, oder eines Unbewußten (s. d.), bald sind Psychisches und Physisches zwei (real oder phänomenal) verschiedene Attribute, Seiten, Daseinsweisen, Betrachtungsweisen einer Wesenheit. das Psychische wird charakterisiert: als Bewußtseinsvorgang, oder als auf ein Object gerichteter Act, oder als rein Actuales (s. d.), als Proceß, oder als »inneren« rein zeitliches Geschehen, oder als Lebensfunction – alles im Gegensatze zum Physischen. Wir bestimmen das Psychische 1) als Eigensein (nicht als Erscheinung, s. d.), 2) als unmittelbares Erlebnis eines Subjectes, d.h. als Bewußtseinsvorgang (als solcher), als Innensein eben derselben Wesenheit, die vom Standpunkte äußerer [146] Erfahrung (s. d.) als physisch sich darstellt. Die Erfahrungsinhalte samt ihren »Formen«. (s. d.), soweit sie vom Subject abhängig sind bezw. dieses constituieren, sind das Psychische, Geistige im Unterschiede von dem, was unter Abstraction vom Subject und mit Beziehung auf das Nicht-Ich, auf objective, vom Ich unabhängige Gesetzmäßigkeit bezogen wird, während das Psychische das ist, was auf der Gesetzmäßigkeit des Ich, der Seele (s. d.) beruht.
Über ältere Unterscheidungen des Psychischen und Physischen vgl. Hylozoismus, Dualismus, Materialismus, Spiritualismus, Monismus, Identitätsphilosophie, Leib, Seele.
Als Gegenstand besonderer innerer Erfahrung (des »inneren Sinns«, s. d.), als bloß zeitlicher, nicht räumlicher Art, bestimmt das Psychische KANT (WW. Il, 648) und mit ihm viele Psychologen (HERBART, BAIN u. a). – Nach LOTZE ist das Psychische unvergleichbar mit dem Physischen (Mikrok. I, 39, 166. Med. Psychol. S. 22 ff.). Nach WITTE ist psychisch »jedes Phänomen, welches ganz und unmittelbar Object innerer... Wahrnehmung sein kann« (Wesen d. Seele S. III). Nach SCHUPPE unterscheiden sich die psychischen Prädicate (Denken, Fühlen, Wollen) deutlich von der räumlichen Welt (obgleich auch diese zum Bewußtsein gehört). »Die psychischen Tätigkeiten... sind nur directes Object des Bewußtseins und können überhaupt nicht ohne ein Object existieren« (Log. S. 139. s. unten Brentano). STUMPF unterscheidet das Psychische vom Physischen. nur ersteres ist Bewußtsein (Leib u. Seele, S. 27 f.). Das Psychische, meint er, ließe sich »ganz wohl als eine Anhäufung von Energien eigener Art ansehen, die ihr genaues mechanisches Äquivalent hätten« (l. c. S. 24). Nach RABIER haben die psychischen Tatsachen keine Ausdehnung, sind nicht direct meßbar, sind von Bewußtsein begleitet u.s.w. (Psychol. p. 20 ff.). Nach G. GLOGAU sind die psychischen (inneren) Zustände intensive Größen, unräumlich, nicht sinnlich wahrnehmbar (Gr. d. Psychol. S. 1 f.). Nach W. JERUSALEM bilden die psychischen Phänomene eine eigenartige Klasse von Vorgängen, verschieden von den Objecten der Naturwissenschaft (Lehrb. d Psychol.3, S. 5). Sie sind »substratlos«, als reine Vorgänge, Ereignisse gegeben (l. c. S. 3), werden nur auf eine einzige Art erlebt, sind nicht sinnlich wahrnehmbar (l. c. S. 1, 3. Urteilsfunct. S. 10). Sie sind »Lebensvorgänge« (l. c. S. 6). L. BUSSE betont die Unvergleichlichkeit des Physischen und des Psychischen. Dem Geistigen ist alles Räumliche durchaus fremd (Geist u. Körp. S. 44 f.). – Nach F. BRENTANO sind psychisch alle »Phänomene, welche intentional (s. d.) den Gegenstand in sich enthalten« (Psychol. I, 116). »Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker... die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben... Jedes enthält etwas als Object in sich« (l. c. S. 115). Die Empfindungsinhalte sind, als von den psychischen Acten verschieden, physisch (l. c. S. 104). Den psychischen Phänomenen kommt außer der intentionalen auch eine wirkliche Existenz zu, da die innere Wahrnehmung (s. d.) unmittelbare Wahrheit enthält (l. c. S. 120). Ähnlich A. HÖFLER: 1) Die psychischen Erscheinungen sind Gegenstand der unmittelbaren oder inneren Wahrnehmung. 2) In jeder psychischen Erscheinung lassen sich unterscheiden der psychische Act und sein Inhalt (Gegenstand). 3) Alle psychischen Erscheinungen sind teils Vorstellungen, teils haben sie solche zur Grundlage. I) Die psychischen Erscheinungen sind zur Einheit des Bewußtseins vereinigt. 5) Sie sind unräumlich (Psychol. S. 3 f.. vgl. HUSSERL, Log. Unt. II, 353 ff.).[147] – Nach CZOLBE hingegen (u. a.) sind die psychischen Vorgänge zwar unkörperlich, aber nicht unräumlich (Grenz. u. Urspr. d. menschl. Erk. S. 214).
Von verschiedenen Philosophen wird das Wesen des Psychischen im Bewußtsein (s. d.) erblickt. So erklärt FR. ZIEGLER: Alles Psychische ist Bewußtseinsphänomen (Das Gefühl2, S. 20). ZIEHEN betont: »Alles, was unserem Bewußtsein gegeben ist, und nur dieses ist psychisch.« »Psychisch und bewußt sind für uns zunächst identisch« (Leitfad.2, S. 3 f.. vgl. über den [nur relativen] Unterschied [im Sinne der Immanenzphilosophie] des Physischen und Psychischen: Psychophysiol. Erk. u. Üb. d. allgem. Bezieh. zw. Gehirn u. Seelenleb. 1902). SERGI erklärt: »Je dis que le phénomène est de caractère physique, quand il n'arrive pas à la conscience de l'être sentant. Quand il est connu de lui, il a le caractère psychique« (Psychol. p. 11). »Le caractère psychique consiste dans la conscience de la fonction placée au centre même de production« (l. c. p. 12). – Dagegen lehrt z.B. E. v. HARTMANN ein unbewußt (s. d.) Psychisches. Zugleich betont er, das Psychische sei nicht An-sich-sein, sondern ideelles, phänomenales Sein (so schon KANT, vgl. auch DREWS, Das Ich, S. 190. dagegen: WUNDT, DILTHEY, Einl. in d. Geisteswiss. I, 502) u. a. Nach LIPPS sind die psychischen Acte nicht im Bewußtsein gegeben. – LEWES erklärt: »Every psychical phenomenon is the product of two factors, the subject and the object« (Probl. I, 122).
Die Abhängigkeit des Psychischen vom Materiellen betonen die Materialisten (s. d.). So auch E. DÜHRING: »Nicht bloß das Bewußtsein, sondern jede Lebensregung beruht auf Functionen, die ohne Nahrung für ihr Spiel gleich der Flamme erlöschen... Die Bewußtseinserscheinungen selbst aber beruhen Element für Element auf den Wirkungen besonderer Teile des Gehirns« (Wert. d. Leb.3, S. 47). Nach MEYNERT, A. FOREL (Gehirn u. Seele S. 23), FR. EXNER (Entwurf z. e. phys. Erklär. d. psych. Erschein.), HUXLEY, RIBOT u. a. ist das Psychische (Bewußtsein, s. d.) nur Begleiterscheinung (»Epiphänomen, surajoutê«) der physiologischen Processe. H. KROELL sieht in den Seelenerscheinungen nur einen Teil der allgemeinen, durch das Nervensystem modificierten Kraftstoffumformungen (die Seele im Lichte d. Monism. S. 10). OSTWALD vermutet, »daß es sich bei den geistigen Vorgängen um die Entstehung und Umwandlung einer besonderen Energieart handelt«, die er »geistige Energie« nennt (Vorles. üb. Naturphilos.2, S. 377 f.). Das Bewußtsein ist »eine Eigenschaft einer besondern Art der Nervenenergie« (l. c. S. 393). – H. BENDER erklärt die Entstehung des Bewußtseins dadurch, »daß gewisse rein mechanische Wirkungen einzelner Atome oder Atomverbindungen, wenn die letzteren in wechselseitige dynamische Beziehung geraten, sich gegenseitig zu einer höheren Wesenseinheit ergänzen« (Zur Lös. d. metaphys. Probl. S. 127. vgl. D. FR. STRAUSS, Der alte u. d. neue Glaube S. 211).
Die Identitätsphilosophie (s. d.) betrachtet das Psychische als »Innensein« der Dinge. FECHNER: »Was dir auf innerem Standpunkt als dein Geist er scheint, der du selbst Geist bist, erscheint auf äußerem Standpunkt dagegen als dieses Geistes körperliche Unterlage« (Elem. d. Psychophys. I, 4. II, 526. Tagesans. S. 251 u. ö.). Ähnlich lehren H. SPENCER (vgl. Psychol. I, § 177), TAINE, FR. SCHULTZE (Philos. d. Nat. II, 346: psychisch und physisch – »nur zwei verschiedene Ausdrücke für dieselbe eine Bewußtseinswelt«), HÖFFDING (Psychol. C. 2, § 8), JODL (Lehrb. d. Psychol. S. 57, 74), WUNDT (Grdz. d. physiol. Psych. II4, Schluß). Das Psychische ist nicht ein eigenes Seinsgebiet neben dem Physischen, sondern es ist das Subjective der einen, einheitlichen Erfahrung (s. d.) in seiner[148] Unmittelbarkeit, der Erfahrungsinhalt in seiner Abhängigkeit vom Bewußtseinssubject. Auch RIEHL vertritt die Identitätslehre (Philos. Krit. II 2, 24). »Das psychische Geschehen ist das nicht-energetische Geschehen in der Natur« (Zur Einf. in d. Philos. S. 158, gegen OSTWALD). Vgl. FOUILLÉE, Ps. d. id.-forc.
Auf einen Unterschied bloß der Betrachtungsweisen führen den Unterschied von psychisch und physisch mehrere Philosophen zurück, die teilweise zugleich die »Abhängigkeit« (s. d.) der psychischen von der physischen Reihe betonen. Nach LIPPS ist psychisch und physisch ein »Gegensatz der Betrachtungsweisen«. »Derselbe Ton ist ein physisches und ein psychisches Phänomen« (Gr. d. Log. S. 13. vgl. Zeitschr. f. Psychol. 25. Bd., S. 161 ff.). – Nach R. AVENARIUS ist die principielle Unterscheidung eines Physischen und eines Psychischen ein Truggebilde der »Introjection« (s. d.). »Die volle Erfahrung ist erhaben über den Dualismus von Physischem und Psychischem« (Vierteljahrsschr. f. wissenschaftl. Philos. 19. Bd., S. 15). Das Psychische ist nichts als das »amechanische«, »mehr-als-mechanische« Bedeutung habende Geschehen (l. c. S. 4. Weltbegr. S. 26ff.). Psychisch ist eine Erfahrung nur insofern, als sie von einer bestimmten Änderung des »System C« (s. d.) »abhängig« (s. d.) ist (Viertelj. S. 16 f.). ohne diese Relation ist sie physisch (vgl. relativ). So auch R. WILLY, CARSTANJEN, J. KODIS, W. HEINRICH u. a. – Nach KÜLPE ist die Eigenschaft des Psychischen »die Abhängigkeit der Erlebnisse von erlebenden Individuen« (Gr. d. Psychol. S. 2. vgl. Psychologie). – E. MACH bestreitet jede Wesensverschiedenheit zwischen Physischem und Psychischem (Anal. d. Empfind.4, S. V). Die »Empfindungen« sind die gemeinsamen »Elemente« (s. d.) der physischen und psychischen Erlebnisse, die lediglich in der verschiedenen Art der Verbindung dieser Elemente, in deren Abhängigkeit voneinander bestehen (ib.). »Psychisch« sind Elemente in ihrer Abhängigkeit von den Elementen des eigenen Leibes (l. c. S. 12 ff.). »In der sinnlichen Sphäre meines Bewußtseins ist jedes Object zugleich physisch und psychisch« (l. c. S. 36). – Die Immanenzphilosophie (s. d.) verlegt den Unterschied des Psychischen und Physischen in das Bewußtsein selbst. Monistisch lehrt auch J. SOCOLIU, Grundprobl. d. Philos. S. 39 ff. – L. DILLES erklärt: »Psychisch nennen wir das, was nicht in der äußeren Erfahrung vorkommt, was wir nicht in unsere Raumesvorstellung verlegen, obwohl dasjenige, was wir dahin verlegen, das von uns danach physisch Genannte, ebensosehr nur psychisch ist« (Weg zur Met. E3. 154).
MÜNSTERBERG bestimmt (wie die Neokantianer u. a., s. d.) das Physische als »das für mehrere actuelle Subjecte gemeinsam gültige Object« des Bewußtseins überhaupt (Grdz. d. Psychol. I, 74). Gegenüber dem ausgedehnten Physischen ist das Psychische das Unräumliche (l. c. S. 69). »In dem vorgefundenen Object nennen wir psychisch, was nur einem Subject erfahrbar ist, physisch, was mehreren Subjecten gemeinsam erfahrbar gedacht werden kann« (l. c. S. 72). Das Psychische ist nichts Wirkliches, sondern ein »Abstractionsproduct«, ein Begriffliches (l. c. S. 57, 391), es ist vom Subject losgelöst, ist nicht das wahrhaft wirkliche Geistige (s. d.), sondern ein abstractes, künstliches, incausales, vom Physischen abhängiges Gebilde (s. Kausalität). – Nach R. GOLDSCHEID (wie nach SCHUBERT-SOLDERN, ZIEHEN u. a.) kam Psychisches nicht aus Physischem erklärt werden (Zur Eth. d. Gesamtwill. I, 10). Das Psychische ist uns gegeben »als Bewußtseinstätigkeit, gebunden an einen Bewußtseinsinhalt«. »Wir können also die Bewußtseinstätigkeit nicht[149] anders erklären als auf Grund des Bewußtseinsinhaltes, den Bewußtseinsinhalt nicht anders als auf Grund der Bewußtseinstätigkeit« (l. c. S. 11). Das Psychische können wir allerdings nicht an sich vom Physischen ableiten, das erst durch unsere Psyche für uns existiert, empirisch aber »Psychisches nur aus Physischem, Physisches nur aus Psychischem herleiten, resp. correcter Psychisches nur aus Psychophysischem und umgekehrt« (l. c. S. 11 f., 16). – Daß auch das Psychische als solches nicht »gegeben« ist, betont P. STERN (Probl. d. Gegebenh. S. 23 u. ff.).
Die biologische (s. d.) Bedeutung der psychischen Vorgänge betonen NIETZSCHE (s. Bewußtsein), G. SIMMEL, O. SCHNEIDER: »Alle psychischen Erscheinungen... sind nur besondere Mittel zur Arterhaltung« (Menschl. Wille S. 39), JERUSALEM (Lehrb. d. Psychol.3, S. 4), UNOLD (Gr. d. Eth. S. 63 f.) u. a. – M. PALÁGYI betont: »Nicht das macht die vitalen Erscheinungen zu psychischen Erscheinungen, daß sie bloß in der Zeit und nicht auch im Raume wären. erst dadurch sind Erscheinungen psychisch, daß die vitalen Vorgänge (die raumzeitlich sind) einen ewigen, also außerräumlichen und außerzeitlichen Sinn enthalten« (Log. auf d. Scheidewege S. 297 f.). Vgl. Seele, Geistig, Identitätslehre, Parallelismus u.s.w.
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