Subjectivismus

[447] Subjectivismus: Subjectstandpunkt, bedeutet: 1) theoretisch: die Ansicht, daß alles Erkennen, Denken subjectiv (s. d.) sei, nicht das Wesen der Dinge, sondern nur die subjective Reactionsweise auf das Einwirken der Dinge oder gar nur die Zustände, Modificationen des Subjects allein ausdrücke, daß es nur subjective Wahrheit (s. d.) gebe. Der Subjectivismus tritt in zwei Formen auf: als individualer Subjectivismus, der im einzelnen Subject das Maß der Dinge erblickt, und als genereller (gattungsmäßiger) Subjectivismus, der im erkennenden Subject überhaupt, etwa im menschlichen Wesen, das Bedingende aller Erkenntnis sieht. Der Kriticismus (s. d.) weiß mit dem generellen Subjectivismus einen wissenschaftlichen Objectivismus zu verbinden, indem er das Erkenntnisobject als Resultat der Denkarbeit des allgemeinen, in der Wissenschaft tätigen Denksubjects, mit Elimination alles bloß Individuell-Subjectiven, betrachtet (vgl. Relativismus). 2) praktisch-ethisch ist Subjectivismus a. die Ansicht, daß es keine objectiven, allgemeingültigen sittlichen Werte und Pflichten gebe, sondern daß das Werturteil des Individuums allein oder in erster Linie für sein Handeln maßgebend sei (ethischer Individualismus). b. jene Richtung, die »den durch das sittliche Handeln zu erreichenden Zweck als einen concreten subjectiven Zustand in Handelnden selbst oder in anderen Individuen bestimmt« (KÜLPE, Einl. in d. Philos.2, S. 248).

Den theoretischen und teilweise auch den ethischen Subjectivismus lehren[447] die Sophisten (s. d.). »Der Mensch ist das Maß aller Dinge«, sagt PROTAGORAS (s. Erkenntnis, Relativismus), wobei nicht sichergestellt ist, ob er den einzelnen oder den Menschen als Gattung (GOMPERZ u. a.) gemeint hat. Subjectivisten sind die Kyrenaiker. Wir kennen nur unsere Empfindungen, nicht die Dinge selbst: mona ta pathê katalêpta (Sext. Empir. Pyrrh. hyp. I, 215. Diog. L. II, 92). ta pathê kai tas phantasias en hautois tithentes ouk ôonto tên apo toutôn pistin einai diarkê pros tas hyper pragmatôn katabebaiôseis (Plut., Adv. Colot. 24). »Praeter permotiones intimas nihil putant esse iudicii« (Cicer., Acad. II, 46, 142). – Im Sinne des ethischen Subjectivismus ist der Satz: »There is nothing either good or bad, but thinking makes it so« (SHAKESPEARE, Hamlet II, 2). – Nach S. KIERKEGAARD ist die Wahrheit nur subjectiv, die Subjectivität ist die Wahrheit. – Vgl. Subject, Subjectiv, Ethik, Sittlichkeit, Wahrheit, Erkenntnis, Sophisten, Sensualismus, Relativismus.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 447-448.
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