[300] Glücksrad und Kugel des Glücks. Aus der antiken Poesie und Kunst, welche den Gottheiten des Geschickes, der Tyche, der Fortuna, der Nemesis, als Symbol ein Rad oder eine Kugel beigeben, pflanzte sich, die Vorstellung von einem Rade oder einer Kugel des Glückes in die mittelalterliche Welt fort. Die deutschen Dichter brauchen deshalb für diese entlehnte Bildung selten den heimischen Namen des Glückes, saelde, sondern gewöhnlicher das abstrakte Wort glück oder das lateinische Fortuna; auch ist nicht immer klar, ob sie sich das Rad von der Göttin rollend umgetrieben oder das Glück selber sich in Radform denken sollen. Sinnlicher noch wurde diese Vorstellung, wenn man sich das Glücksrad mit Menschen besetzt dachte, die mit ihm auf und ab geführt werden. Das Bild wurde so beliebt, dass es in die lebendige Sage überging, z.B. in die Erzählung von den zwölf Landsknechten, welche der Teufel unter der Vorspiegelung, sie würden dann weissagen und Schätze graben lernen, auf aas Glücksrad lockt und sie damit zwölf Stunden lang zwischen Wasser und Feuer umdreht, bis er einen der Zahl durch die Flammen mit sich führt; Grimms Sagen, 1, 286. Auch im dramatischen Spiel und ganz besonders in der bildenden Kunst findet sich das Glücksrad öfters, in Bilderhandschriften und Holzschnitten, wo die herumgewalzten Sterblichen bald Könige, bald die sechs Lebensalter, bald Narren mit Eselsköpfen sind. Vgl. Fig. 59 aus Huttens Schrift Ad. Cäs. Maximil. Epigr. liber I. Strauss I, 95 bis 100. Die vier Figuren bedeuten den Papst, den Gallischen Hahn, den Venetianischen Löwen und den Reichsadler. In Kirchenbauten wurde das Glücksrad oft als Einfassung der runden Giebelfenster über den Portalen angewandt, z.B. am Münster zu Basel. Aus der bildenden Kunst haben sich dann wiederum die Dichter ähnlich ausgeführte Glücksräder geholt, wie es z.B. im Renner des Hugo von Bamberg heisst:
Gelücke daz ist sinewel
und blîbet niht an einer stat:
des triuget manchen man sîn rat.
Eins stîgt: den will es machen rîchen;
der nider sîgt, dem wilz entwîchen;
jener sitzet: wer könd im gelîchen?
diss muoz in d'aschen jaemerlîchen.
Ditz rat betriuget uns alsus:
wan ez ist wilder dann ein fus (Fuchs)
Wart ich sîn hie, sô ist ez dort;
hiur vinde ich niht, dâ vert lac hort,
(heuer finde ich den Hort nicht mehr, der im vorigen Jahr da lag.)
Er goukelt mit uns allen;
die nu vil hô hie schallen,
swenn ez beginnet vallen,
der honic tvirt ze gallen.
Weiter brachte man das Rad des Glückes, da ja dieses letztere die Welt regierte, noch in bezug auf den Kreislauf und die Wechsel in dem grossen überirdischen Weltall, und wie man sonst schon gewohnt war, die Wandelbarkeit des Glücks mit den Mondphasen zu vergleichen, ja als abhängig davon zu betrachten, so verglich man nun das Glücksrad dem Rade des Mondes:[300]
Só sprichet ein meister denne,
den ich wol erkenne:
»est rota fortunae
variabilis ut rota lunae:
crescit, decrescit,
in eodem sistere nescit.«
Diz sprichet: »gücke ist sinewel,
ez ist ze wenkenne snel;
ist ez ieze in der hant,
ez ist balde in ein ander lant.«
Der Minne Lehre, 1989 ff. Daher kommt es, dass das Wort lûne, das zuerst den Mond, dann die Mondphasen, dann jegliche Konstellation bedeutete, nun geradezu den Sinn von Glück erhielt. Den vier Phasen des Mondes war auch die gewöhnlich vorkommende Vierzahl der Personen entnommen, welche einen und denselben Menschen im fortschreitenden Wechsel verschiedener Zustände bezeichnen sollten.
Weniger verbreitet war die Vorstellung des Glückes unter dem Bilde einer Kugel, schon deshalb, weil die Kenntnis von der Kugelgestalt der Erde erst im spätern Mittelalter langsam Boden fasst; der bildenden Kunst war diese Vergleichung ganz fremd. Die Dichter nennen die Kugel des Glückes entweder einen
Ball:
gelücke ist rehte als ein bal:
swer stîget, der sol vürhten val.
oder eine Scheibe:
Fortuna die ist sô getân:
ir schîbe lâzet si umbe gân.
Lampr. Alex.
Hierbei bezeichnet Scheibe meist soviel als Kugel. Nach Wackernagel. Das Glücksrad und die Kugel des Glücks, kl. Schriften, I. 241.
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