[411] Hildebrandslied.
1. Das ältere Hildebrandslied ist das einzige und zwar bloss fragmentarisch erhaltene altgermanische Heldenlied; es ist in einer Handschrift des 8. oder 9. Jahrhunderts auf uns gekommen und in hessischer, stark niederdeutsch gefärbter Mundart wahrscheinlich zu Fulda niedergeschrieben. Die Form ist der alliterierende Vers. Hildebrand, der Waffenmeister Dietrichs von Bern, ist mit seinem Herrn, vor Odoaker fliehend, zu den Hunnen ins Exil gezogen. Nach Jahren an der Spitze eines hunnischen Heeres zurückkehrend, tritt ihm sein Sohn Hadubrand mit einem Heere entgegen. Hildebrand und Hadubrand rüsten sich zum Zweikampf; man darf vermuten, dass der Ausgang desselben beiden Parteien als Gottesurteil gelten soll. Bereit zum Kampfe, fragt Hildebrand den jüngeren Gegner um seinen Namen: Du brauchst mir nicht Dein ganzes Geschlecht zu nennen, nenne mir nur einen, ich kenne sie alle. Hadubrand antwortete: Das sagten mir unsere Leute, alte und weise, dass Hildebrand mein Vater heisse: ich heisse Hadubrand. Er zog ostwärts, floh Odoakers Hass, hin mit seiner Degen viel; er liess im Lande zurück elend sitzen seine Gattin im Hause, den unerwachsenen Sohn. Immer stand er an der Spitze des Volkes, stets war der Kampf ihm allzulieb; nicht meine ich, dass noch im Leben er sei. Auf diese Worte giebt sich der Alte zu erkennen, und zur Bestätigung der Wahrheit bietet er dem Sohne an der Spitze des Speeres goldene Armringe. Hadubrand verschmäht jedoch diese, hält den Greis für einen arglistigen Betrüger, der, wenn er sich nähere, die Ringe abzuholen, den Speer nach ihm schleudern würde: »Mit dem Speer soll der Mann Gabe empfangen, Spitze wider Spitze; du bist dir, alter Hunne, unmässig klug, verlockst mich mit deinen Worten, willst mich mit deinem Speere werfen; bist ein so alter Mann und führst doch stets noch Ränke bei dir! Das sagten mir Seefahrende, westwärts über das Wendelmeer (Ozean), dass Kampf ihn davonnahm: tot ist Hildebrand, Heribrands Sohn!« Überaus schön und wahr klingt nun aus dem Munde des Vaters die Klage über das schmerzliche Geschick, das ihn betroffen, »Weh nun, waltender Gott! Wehschicksal geschieht! Ich wanderte der Sommer und Winter sechzig, da man mich stets scharte ins Volk der Schützen, da man mir vor keiner Burg den Tod brachte: nun soll mich mein eigenes Kind mit dem Schwerte hauen, erschlagen mit seinem Beile, oder ich ihm zum Mörder werden! Doch, es sei! Der wäre ein übler Feigling, der den Kampf jetzt weigerte, nach dem den Gegner so sehr gelüstet! Das Ende erweise, auf welcher Seite das Recht sei!« Hierauf beginnt der Kampf, sie eilen mit den Speeren auf einander los, diese prallen von den Schilden ab, sie verlassen die Pferde und zerhauen die Schilde mit den Schwertern. Hier bricht leider die Handschrift ab. Obgleich sich die Handlung durch die Erwähnung Dietrichs und Odoakers als ein Teil der an Theodorich den Grossen sich anlehnenden Dietrichsage giebt, ist es gerade hier sehr wahrscheinlich, dass erst spätere Zeit diesen Kampf zwischen Vater und Sohn in den Kreis historischer Begebenheit eingereiht hat, die Handlung selbst aber einer weit älteren Sagenstufe angehört; ganz ähnliche Sagen findet man bei den Persern in der Episode von Röstern und Suhrab des Firdusischen Königsbuches und in der serbischen Erzählung von Predrag[411] und Nemad; der Ausgang dieser beiden genannten Sagen, wonach der Vater den Sohn erschlägt, lässt einen ähnlichen Ausgang des deutschen Gedichtes vermuten.
2. Das jüngere Hildebrandslied. Ein seltsames Geschick hat denselben Stoff, der uns in dem ältesten erhaltenen deutschen Heldenliede entgegentritt, im 15. Jahrhundert nochmals als letzten Zeugen der absterbenden Heldensage erhalten; bis ins 17. Jahrhundert war das Lied vom Vater mit dem Sohne in der Nibelungenstrophe, die von diesem beliebten Gesang lange den Namen Hildebrandston trug, weit verbreitet. Die Manier ist, der Zeit angemessen, holzschnittartig, markiert, mit viel kräftigem Humor und zuletzt in ein Liebesmotiv ausklingend. Herzog Amelung (es ist Dietrich gemeint) wird von Meister Hildebrand berichtet, er sei gesonnen, einen Besuch in seiner Heimat Bern bei seiner Frau Uten zu machen, wo er 32 Jahr nimmer gewesen sei. Wenn das sei, sprach Herzog Amelung, so möge er den jungen Herzog Alebrant, der die Grenze bewache, und alle Fremden anrenne, von ihm grüssen und ihm sagen, er, Alebrant, möge ihn, Hildebrand, freundlichst reiten lassen. Hildebrand freut sich aber schon auf den ihm erwünschten Strauss und da auf der Marke Alebrant ihm entgegentritt, giebt es sofort beiderseits schnöde und landsknechtmässige Spässe und Sticheleien. Wie nun gar der Junge dem Alten einen kräftigen Hieb versetzt, da brennt Hildebrand auf, entreisst durch eine List dem Gegner das Schwert, erwischt ihn bei der Mitte und schwingt ihn hinterrücks ins grüne Gras. Wie jedoch nun der besiegte Alebrant meldet, wer er sei, da giebt sich Hildebrand ebenso freundlich, als er vorher kampflustig gewesen, zu erkennen, küsst den Sohn an den Mund, und beide ziehen versöhnt in Alebrants Burg ein. Hier setzt Alebrant den Alten oben an den Tisch, und da die Mutter, die ihren Gatten auch nicht erkennt, darüber zürnt, dass der Sohn einem gefangenen Mann soviel Ehre erweise, da nennt jener des Vaters Namen:
Ach Mutter, liebste Mutter,
Nun beut ihm Zucht und Ehr!
Da hub sie auf und schenket
Und trugs im selber her.
Was het er in seinem Munde?
Von Gold ein Fingerlein:
Das liess er in Becher sinken
Der liebsten Frauen sein.