Kelch

Fig. 79. Gotischer Kelch aus Hohenstein.
Fig. 79. Gotischer Kelch aus Hohenstein.

[488] Kelch. Der Kelch, lat. calix, engl. chalice, franz. calice, ist ein profanes Trink-, hauptsächlich aber ein kirchliches Altargefäss, das schon in der ersten Zeit der Christenheit gebraucht wurde, zur Austeilung des in Wein verwandelten Blutes Christi. Man unterscheidet den Abendmahls-, Speise-, Kommunions- oder Laienkelch, der bis zur Kelchentziehung (um 1220) der Gemeinde den Wein spendete, den Sammelkelch, in welchem der von den Gemeindegliedern dargebrachte Wein (später das Opfergeld) gesammelt wurde, den Konsekrationskelch, in welchem der Priester die Verwandlung des Weines in Blut vornahm, den kleinen Messkelch, den der Priester bei der Messe für sich gebrauchte, den noch kleineren Reise- oder Krankenkelch, der den Sterbenden gereicht wurde, den Grabkelch und endlich den Taufkelch.

Der älteste auf uns gekommene Kelch dieser Art stammt aus der Zeit Justinians und zeigt bereits die abgeschwächten Formen der späteren Kaiserzeit, ist zweihenkelig und am oberen Rande mit kleinen, von Filigran eingefassten herzförmig geschliffenen Edelsteinen (abwechselnd Rubinen und Smaragden) versehen.[488] Den Reichtum der fränkischen Kirchen deutet eine Nachricht über die Beute Childeberts an, der in Amalarichs Palast 60 Kelche, 15 kostbare Platten (Patenae) zum Gebrauche beim Abendmahl und 20 kostbar verzierte Behälter zur Aufbewahrung der Abschriften des heiligen Evangeliums vorgefunden und an die Kirchen und Gotteshäuser seines Reiches verteilt haben soll.

Bei dem Aufschwung des religiösen und kirchlichen Lebens zur Zeit der Kreuzzüge und der fortschreitenden Kunst der Verarbeitung edler Metalle wird der Gebrauch der heiligen Gefässe immer allgemeiner und deutlicher nachweisbar. Genannt werden der Kelch mit der Patena (Hostienteller) und der Saugröhre zum Saugen des Weines, die Ciborien in welchen die Hostien aufbewahrt werden, ferner die Schüsseln, Giessgefässe, Taufbecken, Weih- und Sprengkessel, Räucherfässer, Büchsen, Salb- und Olfläschchen und die Reliquienbehälter. Die grossen Speise- und die zur Schmückung des Altars verwendeten Prachtkelche wurden von Päpsten, Königen und Kaisern oft geschenkt und waren köstlich gearbeitet. Bestimmtere Vorschriften existierten für die Beschaffung der kleineren Kelche, die in der ältesten christlichen Zeit aus Glas, Holz, Horn, Elfenbein, selten aber aus Metall bereitet waren. Im Jahr 787 wurden die hörnernen, 811 die hölzernen, 813 die kupfernen, später auch die gläsernen verboten. Zulässig waren nur noch goldene und silberne, die kupfernen allerhöchstens mit einer starken Vergoldung. Ärmere Kirchen halfen sich jedoch mit zinnernen Gefässen. Vorgeschrieben waren ausser dem Stoff auch Form und Verzierung. Der Kelch sollte aus Fuss, Schaft, Knauf und Schale bestehen und auf der Fläche des Fusses (Pes) keine andere Verzierung als die Darstellung des Leidens Christi enthalten. Der Schaft (Stylus) sollte der Breite der Hand entsprechen, der Knauf je nach Vermögen mit Edelsteinen besetzt werden, die Schale (Cuppa) nach dem Schaft hin etwas enge, nach oben sich erweiternd und der Rand selber so beschaffen sein, dass er weder ein- noch auswärts, noch irgendwie gebogen erscheine. An der Kuppe durften keine Kreise gezogen werden, und allfällige Zieraten waren mindestens zwei bis drei Finger breit vom Rande fern zu halten, der nicht breit, sondern mehr scharf auslaufend gebildet werden musste. Selbstverständlich ist, dass diesen Vorschriften nicht immer nachgelebt wurde und zwar von seiten derjenigen, die sie aufgestellt oder wenigstens in erster Linie zu überwachen hatten. Der Kelch des heiligen Gozlin, Bischof von Toul (922–962), ist zweifach gehenkelt, hat eine halbkugelförmige Schale, einen umgebogenen Rand und ist an allen Teilen mit Gravierung versehen und reichlich mit Edelsteinen geschmückt. Dieselbe Willkürlichkeit in Form und Ausstattung zeigen auch die übrigen Kelche desselben, sowie besonders die des 11. und 12. Jahrhunderts, so der Kelch des heiligen Remigius in der Bibliothek zu Paris und der Speisekelch im Stifte Wilten (Tirol), welch letzterer besonders mit bildlichen Darstellungen aus der heiligen Schrift geschmückt ist. Im 12. Jahrhundert erscheint der Kelch fast ohne Ausnahme halbkugelförmig auf kurzem Fuss, der Becher aber in der noch heute üblichen Becherform oder in der Gestalt eines kleinen aus Dauben zusammengefügten Fässchens.

Auch das 13. Jahrhundert bringt keine neuen Formen, sondern begnügt sich hauptsächlich damit, teils den Fuss rosettenartig, teils Schaft und Knauf statt rund nun mehrflächig und die Kuppe um weniges höher und schlanker, eiförmiger zu[489] gestalten. Daneben verdient erwähnt zu werden, dass gegen Ende desselben Jahrhunderts ein neues Kirchengefäss eingeführt wird, die Monstranz, dessen wirklicher Gebrauch jedoch durch äussere Umstände verzögert erst zwischen 1317 bis 1330 beginnt.

Die Folgezeit war bestrebt, den Kelch schlanker zu machen; die halbeiförmig gebildete Kuppe wurde nach unten noch spitzer zusammengezogen. Der Schmuck blieb im wesentlichen immer noch auf den Fuss beschränkt, der statt kreisrund wie bisher, sich nun mehrflächig und rosettenförmig aufsteigend verjüngte. Die Flächen wurden nach innen geschweift und bis zum Mittelknauf hin durch Stabverzierungen oft in Verbindung mit geometrischen Figuren in baulicher Weise ausgestattet. Auch der Knauf, der obere Teil des Fusses, wurde demgemäss verziert, der rund, kugel- und eiförmig, mit kantigen Ausladungen, mehr und mehr mit dem Schafte zu einem Ganzen sich gestaltete. Daneben fuhr man fort, die zu Prachtstücken bestimmten Kelche gelegentlich sehr reich zu emaillieren und stellenweise mit Filigranarbeit und farbigen Steinen zu besetzen.

Das 15. Jahrhundert ging hierin noch weiter. Der Fuss des Kelches gestaltete sich zu einem förmlichen Bündel von reichgegliedertem und durchbrochenem, spitzbogigem Nischen- und Pfeilerwerk oder zu einem Rosettengeflecht. Die Kuppe bedeckt man häufig bis über die Mitte mit Masswerk oder mit pflanzlichem Zierat, gemischt mit eingravierten Darstellungen von Szenen aus der Leidensgeschichte. Siehe Fig. 79. Gotischer Kelch aus Hohenstein, nach Müller und Mothes, arch. Wörterb. Noch freiere Formen brachte die Renaissance, die äussere Unterschiede zwischen dem kirchlichen und weltlichen Kelche nicht mehr kennt und zu deren Verzierung alles aufbietet. Der Kelch wird möglichst schlank gebaut. Der Fuss erhält jede beliebige Gestalt. Der Schaft verliert den Mittelknauf und setzt sich zusammen aus runden, linsen- und eiförmigen Körpern, geraden, aus- und einwärts geschwungenen Platten, Leisten und dergleichen nebst dazwischen und darüber angeordnetem Kleinzierat. Die Kuppe nahm an Höhe zu, sodass sie oft zwei Drittel der Gesamtlänge betrug. Sie wechselte in allen Formen, welche ihr Zweck irgend zuliess, zwischen denen des einfachen Bechers und eines mannigfachst geschwungenen, vielflächigen teilweise gebuckelten oder auch einwärts getriebenen Gefässes, ja zuweilen selbst in den Gestalten von geriefeltem Muschelwerk und ward gewöhnlich mit einem entsprechenden Deckel versehen, der wie der Becher selbst reich geschmückt war mit getriebener, gravierter und eingelassener, eingeschmolzener, melierter oder farbiger Emailarbeit.[490] Im 17. Jahrhundert artete die Verzierung oft in geschmacklose Schnörkelei aus, was besonders von manchen »Willkommbechern« der Zünfte und Innungen gesagt werden muss, die neben oder zwischen dem Zierat oft eingefügte Schau- und Gedenkmünzen zeigen. Nach Weiss, Kostümkunde. Vgl. Otte, Handb. § 40.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 488-491.
Lizenz:
Faksimiles:
488 | 489 | 490 | 491
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon