[530] Kreuzfahrer. Seit dem 5. Jahrhundert war Rom das Ziel zahlreicher Wallfahrer geworden, die an den Gräbern des Petrus und Paulus ihre Andacht verrichten wollten; schon damals zeigte man auch die cathedra und die Ketten des heiligen Petrus, deren Späne abgefeilt Wunder wirkten, sodann Bildnisse Christi und der Mutter Gottes, die Geisselungssäule Christi und Tausende von Splittern des heiligen Kreuzes. Die beliebteste Zeit war das Fest Petri; zur Unterstützung der Wallfahrer war 727 von einem angelsächsischen König eine schola saxonica gestiftet worden, welche das Muster für besondere Herbergen der Franken, Sachsen, Langobarden und Friesen wurde. Das beliebteste Ziel der skandinavischen Pilger war dagegen Konstantinopel, wo die Fäden uralter[530] Erinnerungen aus ihrer Geschichte und Sage zusammenliefen. Über beiden Wallfahrten stand aber früh diejenige nach Jerusalem, für welche besonders Hieronymus und Augustinus Propaganda machten, während sie freilich zugleich nicht versäumten, auf die Gefahr dieser äusserlichen Leistung für die wahre Frömmigkeit aufmerksam zu machen. Gregor von Nyssa schrieb sogar ein Buch gegen die Jerusalem-Wallfahrten, worin er erklärte, die meisten Pilger hätten bei ihrer Fahrt oft nur den Himmel, nicht aber ihre Gesinnung geändert, die weiblichen Wallfahrer hingegen meist ihre Tugend verloren; auch habe er nirgends in der Welt ein sittlich verwahrlosteres Volk und mehr Gesindel angetroffen als in Jerusalem. Dennoch hob sich das Pilgerwesen von Jahrhundert zu Jahrhundert, besonders da die Päpste allmählich ein Bussinstitut daraus machten und für das Fortkommen und die Sicherheit der Pilger sorgten, und namentlich seit der glänzenden Restaurierung der heiligen, durch Hadrian schändlich profanierten Stätten durch die byzantinischen Kaiser. Diese letztere steht mit der Pilgerreise der Kaiserin Helena, der Mutter Konstantin des Grossen, in Zusammenhang; sie war 326 nach Jerusalem gepilgert und hatte drei Kreuze und drei Nägel aus dem Schutte gezogen. Seitdem wurde das Andenken an die Kreuzesfindung durch ein eigenes Fest am 15. September gefeiert, zu dem aus allen Himmelsgegenden Wallfahrer und Karawanen anlangten, sodass bald ein grosser Jahrmarkt sich daran knüpfte. Konstantin liess nun die 335 im Beisein von 300 Bischöfen eingeweihte heilige Grabeskirche bauen, der schnell zahlreiche andere christliche Heiligtümer, Kapellen, Kirchen und Klöster folgten. Ähnliches that später Justinian. Unter den Pilgern zählte man jetzt auch solche, die kirchlichen und politischen Unruhen aus dem Wege gingen, und vornehme Frauen, Kaiserinnen und Patrizierinnen aus Rom und Konstantinopel, die ein bewegtes Leben in der Stille des heiligen Landes beschliessen wollten. Diese friedlichen Zustände nahmen im 7. Jahrhundert ein Ende, als der Perserkönig Chosroes II. im Jahre 614, und nach kurzer Wiedereinnahme durch die Christen die mohammedanischen Araber 638 Jerusalem nach zweijähriger Belagerung in ihre Hände brachten; das heilige Kreuz war vorher nach Konstantinopel gerettet worden. Doch hatten unter der milden Praxis der Moslimen die Pilgerfahrten ihren Fortgang; auch an Reliquien fehlte es nicht; man zeigte u.a. den Abendmahlsbecher Christi, die heilige Lanze, das Schweisstuch, das Tuch Mariä, auf das die Bilder Christi und der zwölf Apostel gemalt waren.
Durch Karl d. Gr. trat eine neue Epoche des Pilgerwesens ein, als der Patriarch von Konstantinopel ihm im Jahre 800 Reliquien vom heiligen Grabe, die Schlüssel und das Banner desselben, überreichen und seinen Schutz für die Christen des heil. Landes anflehen liess. Wirklich trat Karl in Verbindung mit dem Kalifen Harun-al-Raschid, der den Christen Schutz versprach, und wies zugleich grosse Summen an zur Erbauung von Klöstern, Herbergen und Krankenhäusern im heiligen Lande. Doch blieben die Nachfolger Harun-al-Raschid's den Christen nicht ebenso geneigt, und schon gegen Ende des neunten Jahrhunderts bat der Patriarch um Hilfe und namentlich um Geld, um die an die Heiden verpfändeten Domänen und heiligen Gefässe auszulösen Noch schlimmer wurde die Lage der Christen, seitdem die Kalifen von Ägypten in den Besitz Jerusalems gekommen waren und neben anderen Heiligtümern namentlich die Auferstehungskirche zerstörten.[531] Dieses vermehrte einerseits die Teilnahme des Abendlandes an den Schicksalen der heiligen Stätte, andererseits bewirkte es, dass sich von nun an die Pilger zu grösseren Scharen vereinigten; im 11. Jahrhundert thaten dies zuerst 700 Pilger unter dem Grafen der Normandie und dem Abte Richard; 1054 sammelte sich schon eine Schar von 3000 Pilgern; aus Furcht vor dem jüngsten Tage zogen 1065 unter dem Erzbischof von Mainz, den Bischöfen von Utrecht, Bamberg u.a. 7000, nach anderen sogar 13000 Köpfe nach Jerusalem, die an der Spitze stehenden Prälaten in ritterlicher Rüstung; englische Pilger folgten auf dem Fusse nach; 2000 sollen wieder heimgekehrt sein. Durch den jetzt ausbrechenden Kampf zwischen Kaiser und Papst geriet die Pilgerfahrt nach dem heiligen Grabe zwar etwas ins Stocken, doch nahm Gregor VII. den Plan eines grossen Kreuzzuges auf; aber ohne Erfolg. Erst das Ende des 11, Jahrhunderts sah endlich die eigentlichen Kreuzfahrer ins gelobte Land aufbrechen.
Zahlreich sind die Gründe, welche die Christen zu einer Pilgerfahrt nach dem gelobten Lande veranlassten; ausser der religiösen Teilnahme für das heilige Grab und die anderen heiligen Stätten war es besonders bei den Skandinaviern die ungestillte Sehnsucht nach dem Lande, wo die Sonne aufgeht, wilde Unternehmungslust, Rettung aus schwerer Gefahr oder Krankheit, Trauer über die Verderbtheit der Kirche, Furcht vor dem Weltuntergang, Visionen, besonders aber die kirchliche Busse, welche der Papst, ein Prälat oder Landesfürst auferlegte, und zwar anfangs nur für Mord, Sodomiterei und Simonie, später auch für den Bruch des Gottesfriedens. Die Busse bezog sich entweder auf die kleine oder die grosse Fahrt, nicht selten auf Lebenszeit. Ursprünglich legten die Pilger keine äusseren Abzeichen ihres Gelübdes an; erst später bildete sich, wohl zuerst bei den Reichen die Gewohnheit, durch einen eigenen Habit sich auszurüsten und mit den Zeichen vollbrachter Wallfahrt, Jakobsmuschel und Palmzweig, in die Heimat zurückzukehren. Die Kreuzfahrer trugen nur Kreuze, entweder auf der Brust oder auf der rechten Schulter, wie Christus sein Kreuz getragen. Die Norweger trugen rote Kreuze in weissem Felde, die Dänen weisse in rotem, die Schweden rote in grünem Felde. Zur grossen Kreuzfahrt von 1189 wählten die Engländer weisse, die Franzosen rote, die Flandrer grüne Kreuze. Die Minderzahl der Pilger bettelten sich ins gelobte Land durch; die meisten pflegten sich durch Verpfändung ihrer unbeweglichen Habe bei reichen Bürgern, Klöstern oder Juden mit Geld zu versehen. Gewöhnlich reiste man zu Fuss, auch barfuss, französische Verwandtenmörder mit Ketten beladen, die aus ihrem Schwerte geschmiedet waren, die Skandinavier aber, wenn sie den Landweg einschlugen, pflegten zu reiten.
Das alte Wallfahrtslied der deutschen Pilger lautet:
In gottes namen faren wir,
seiner genaden begeren wir,
des helf uns die gottes kraft
und das heilige grab,
da gott selber inne lag!
kyrieleison!
Kyrieleis! Christeleis!
des helf uns der heilig geist
und die ware gottes stimm,
dass wir frölich farn von hinn!
kyrieleison!
Nu helf uns das heilige grab
und der sich durch uns darin gab
mit seinen heren wunden:
dass wir zu Jerusalem funden
werden froliche,
und in dem himelriche
got gebe uns den werden Ion
und singen: kyrieleison![532]
Die Dauer einer gewöhnlichen Pilgerfahrt war in der Regel ein Jahr, bei den Skandinaviern meist zwei bis drei Jahre; die Termine für den Aufbruch meist Ostern und Johannis.
Die Routen der Pilger waren sehr verschieden. Die Deutschen, Franzosen und Engländer gingen oft durch Italien und fanden schon in Norditalien oder dann in Brindisi, Bari oder Messina Schiffe zur Überfahrt; vor den Kreuzzügen wählten aber die deutschen Pilger meist den Landweg durch Ungarn, Konstantinopel und Kleinasien, »Weg Karl's des Grossen« genannt. Die Skandinavier zogen entweder durch Russland nach Konstantinopel, oder durch Deutschland und die Alpen nach Italien oder über St. Jago di Compostella und durch die Strasse von Gibraltar längs der afrikanischen Küste. Überall von den Ausgangspunkten der Pilger an, auf den Alpenpässen, in den Hafenorten, zu Rom, Konstantinopel, in Jerusalem und anderen Orten im gelobten Lande waren Herbergen und Hospitäler gestiftet worden. Als Patron der Pilger wurde der heilige Georg angerufen.
Unter die Wunder des heiligen Grabes gehörte namentlich auch das heilige Feuer, welches am Ostersonnabend von der oben offenen Kuppel der Grabeskirche erschien und die zahlreichen im Raum der Kirche aufgestellten nichtbrennenden Lampen mit rötlichem Licht entzündete, unter dem tausendstimmigen Bittrufe Kyrie eleison! Es war und ist noch eine Wirkung des griechischen Feuers. Ausser Jerusalem besuchte jeder Pilger Nazareth und Bethlehem, Hebron und den Jordan. Die Heimkehrenden wurden meist von der ganzen Bevölkerung ihres Heimatortes festlich eingeholt und begrüsst. Nach Reinhold Röhricht, die Pilgerfahrten nach dem heiligen Lande vor den Kreuzzügen, in Raumer's (Riehl's) hist. Taschenb 1875.
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