Lehnswesen, Benefizialwesen

[576] Lehnswesen, Benefizialwesen. Die Entstehung der Benefizien wird von der rechtsgeschichtlichen Forschung verschieden erklärt; die einen lassen, die Benefizien in Anlehnung an das römische Recht dadurch entstehen, dass namentlich die Kirche freiwillig einen Teil ihres Grundbesitzes gegen einen bestimmten Zins oder Dienst oder bloss gegen einen kleinen Scheinzins aus Wohlthat, daher der Name beneficium, zum Niessbrauch an andere hergab, eine Sitte, der dann der König ebenfalls folgte; andere lassen das Benefizium erst während der Kriege gegen die Araber im achten Jahrhundert dergestalt entstehen, dass sich in dieser Zeit für den fränkischen König die Notwendigkeit zeigte, die übermächtigen Grossen zu gewinnen, um durch deren Beispiel, besonders im Heerdienst auf die anderen zu wirken; da nun das Krongut durch Schenkungen erschöpft war, so sah man sich genötigt, das Eigentum der Kirche in der Form einer Anleihe anzugreifen, zu welchem Zwecke unter Karl Martells Söhnen die Kirchengüter verzeichnet und ein grosser Teil davon verteilt worden seien. Sicher ist, dass zu Karls des Grossen Zeit das Institut der Benefizien schon mannigfaltig ausgebildet war. Bei den kirchlichen Landverleihungen zwar trennen sich die eigentlichen Zinsbauern mit der Zeit von den Inhabern von Benefizien, welche zum Teil angesehene Männer sind; immer noch werden einzelne Kirchengüter durch Verfügung des Königs so verliehen, als ob sie königliche Benefizien wären, neben welchen Benefizien aber auch freiwillige Verleihungen seitens der Kirche vorkommen; so vergeben auch weltliche Grundbesitzer und namentlich der König selber ihre Güter zu Benefizien, teils mit, teils ohne Zins. Zum eigentlichen Lehnswesen aber wird das Benefizialwesen erst dadurch, dass es mit der Vasallität (siehe diesen Art.) in Verbindung tritt, was vollständig und nachhaltig[576] erst im 10. und 11. Jahrhundert geschehen ist. Die folgende Skizze lehnt sich an Waitz, Deutsche Verf.-Gesch. Bd. VI, Abschnitt 5.

Das Benefizium ist eine solche Landverleihung, die eine nähere Verbindung zwischen dem Verleiher und Empfänger begründet, dem letzteren besondere Verpflichtungen auferlegt, und in dem Verhältnis der Vasallität einen bestimmteren Charakter annimmt. Das deutsche Wort für Benefizium ist Lehen, ahd. lêhan, mhd. lehen; seit dem elften Jahrhundert sagt man auch feodum oder feudum; dieses Wort ging aus einem älteren mittellat. feum, eigentlich feu-um hervor, dessen Stamm, das provenzalische feu, ital. fio, altfranz. fieu, latinisiert fium = Lehengut, Lehenzins, aus got. Faihu = Vermögen, Habe, ahd. fihu, feho, feo, nhd. Vieh entstanden ist, s. Weigand.

An und für sich erscheint jeder fähig, Lehen zu empfangen; erst später sind Bauern, Kaufleute, Geistliche und Frauen davon ausgeschlossen worden; eine vasallitische Huldigung fand dann aber nicht statt. Oft sind solche niedere Benefizien mit einem Dienst oder Geschäft verbunden, die Belohnung oder Besoldung für dasselbe, bei Fischern, Weingärtnern, Handwerkern, Jägern, Förstern, Meiern oder Schultheissen; auch der Dienst der Ministerialen (siehe diese) war mit einem Benefizium verbunden; bei Geistlichen ist mit den einzelnen geistlichen Stellen ein Gut verbunden, das dem Inhaber Unterhalt gewährt und sein Benefizium heisst; auch einzelne Kirchen und Kapellen werden als Benefizium übertragen, wogegen der Empfänger die geistlichen Funktionen zu üben und die Einkünfte zu ziehen hat. Verschiedene Kirchen verleihen einander gegenseitig Benefizien, wie anderseits Personen geistlichen Standes vom Erzbischof bis zum Mönch Lehn von Weltlichen empfangen. Umgekehrt nehmen Weltliche vom Kaiser an abwärts Kirchengut zu Lehen. Das Recht der Verleihung stand jedem offen, und das empfangene Lehn konnte an einen dritten weiter gegeben werden. Gegenstand des Lehens war alles Mögliche, was Nutzen und Einkommen gewährte, mit Ausnahme der fahrenden Habe; am meisten aber wurde Grundbesitz gegeben, einzelne Güter und grössere Höfe, Häuser, Brauereien, Mühlen, Weinberge, Wälder, Fischereien, Burgen und Schlösser, Städte, Provinzen, ja Reiche; sodann Kirchen, Kapellen, Klöster, Hospitäler, Altäre, der Zehnten; sodann wurde statt der Gegenstände selber der Ertrag, den sie boten, die Vorteile, die sie gewährten, zu Lehen gegeben, z.B. bei Münzen und Zöllen, Brücken- und Fahrgeldern, Zinsen und Leistungen, wobei oft abhängige Leute, die an und für sich nicht unfrei waren, Gegenstand der Verleihung wurden. Auch eine bestimmte Geldsumme, die der Belehnte dann jährlich empfangen soll, kann. Gegenstand der Belehnung werden. Ganz besonders aber wurde das Amt mehr und mehr als Lehn angesehen und behandelt, sowohl in den niederen Kreisen bei Gutsverwaltern und Meiern, als namentlich bei den höheren Beamtungen der Vögte, Grafen, Markgrafen und Herzoge; eine Hauptsache war dabei stets die Gerichtsbarkeit. Auch die Verpflichtungen, welche mit dem Lehen übernommen werden, sind verschiedener Art; ein blosser Zins kommt mehr in den niederen Kreisen vor; was für das Benefizium charakteristisch ist, ist vielmehr der Dienst, der mehr und mehr einen kriegerischen Charakter angenommen hat und auf dem die Bedeutung des Lehnwesens namentlich beruht. Ein Lehn, auf dem eine solche Verpflichtung ruht, heisst Kriegslehn gegenüber dem Zinslehn. Man unterscheidet dabei den Heerdienst für das Reich, und die Kriegshilfe[577] die dem Herrn bei anderer Gelegenheit geleistet wird. Den Heerdienst für das Reich leistete der Fürst eben mit den Inhabern seiner Benefizien, für den besonderen Kriegsdienst pflegte eine besondere Vereinbarung getroffen zu werden. In der Staufischen Zeit hatte bei dem Römerzug, wenn das Heer auf den Roncalischen Feldern lagerte, jeder, der Lehn besass, die erste Nacht bei dem Heere eine Wache zu leisten. Ein Lehn, das zur Verteidigung von Burgen verpflichtete, hiess Burglehen. Auch zum Hofdienste verpflichtet das Lehen; der Lehnträger hat die Pflicht, am Hofe des Herrn zu erscheinen, bei Hofgerichten zu fungieren, an Verhandlungen teilzunehmen, den Herrn an den Hof des Königs zu begleiten, dem Herrn bei feierlichen Gelegenheiten Schwert oder Schild zu tragen. Mit dem Empfang des Lehens, wenn dasselbe nicht Verwalter niederer Ämter, Ministerialen und Stiftsgeistliche betraf, war regelmässig die vasallitische Huldigung verbunden, deren Anfänge in ältere Zeit zurückreichen; sie trat überall da ein, wo der selbständige Freie das Gut eines andern empfing und damit die Verpflichtung zur kriegerischen Hilfe übernahm. Derjenige, der die Huldigung leistet, heisst vassus, später vasallus, deutsch man, lat. homo oder vir, vorzugsweise aber miles. Das Recht, welches dafür galt, hiess jus militare, Krieger- oder Ritterrecht, der Akt der Verbindung hominium, homagium, manschaft, hulde. Sie geschah in alter Weise durch Handreichung, worauf der Eid folgte, der zunächst auf feste Treue ging; der Belehnte versprach nach der üblichen Formel, so treu und ergeben zu sein, wie es ein Mann gegen seinen Herrn schuldig ist; den Freunden des Herrn freund, den Feinden feind; dem Herrn und den Seinen ein frommer und treuer Helfer zu sein. Der Eid sollte gelten, solange der Vasall das Gut innehat; er soll dieses verlieren, wenn er seine Verpflichtungen nicht erfüllt. Wenn es sich um eine feste Burg handelt, soll diese dem Herrn allezeit offen stehen. Der Eid wird mit aufgerichteten Händen oder auf Reliquien geleistet. Später wurde der ganze Vorgang noch feierlicher gemacht. Die Belehnung selber oder die Investitur geschah in symbolischer Handlung durch Überreichung eines Gegenstandes, der nach Art des Lehns verschieden war, durch den Handschuh oder den Stab, den geistlichen Fürsten seit dem Wormser Konkordat durch das Zepter, einzeln durch den Ring, bei den Laienfürsten durch die Lanze mit der Fahne oder durch die Fahne allein, wobei bei der Vereinigung mehrerer Fürstenlehen in einer Hand auch mehrere Fahnen gegeben wurden; abhängige Königreiche wurden später mit dem Schwert übertragen, in Italien kommt der Adler vor.

Bei dem Wechsel des Herrn und des Mannes war eine Erneuerung sowohl der Huldigung als der Verleihung erforderlich.

Schon früh zeigte sich im Benefizialwesen die Neigung zur Ausbildung erblicher Verhältnisse, bis diese, dem Widerstreben namentlich der Kirche zum Trotz, in höheren und niederen Kreisen zur Regel wurden; auch Töchter succedierten oft in das Lehen. Der Vasall hatte ein gewisses Recht der Verfügung über das ihm anvertraute Gut; aber veräussern oder vertauschen durfte er es bloss mit Zustimmung des Herrn. Lehen konnte auch wieder bloss mit Zustimmung des Herrn in Eigentum verwandelt werden. Willkürlich entziehen durfte der Herr das Gut nicht; wo es geschah, so musste er besondere Gründe haben, namentlich Verletzung der Treue und der Pflichten, offene Feindseligkeit in That und Rat gegen den [578] Herrn oder Nichtleistung des schuldigen Dienstes; dadurch wurde die Gnade verwirkt, und der Schuldige ging des Lehens verlustig. Doch war dazu ein Ausspruch der Genossen erforderlich, wie sich überhaupt eine eigene Lehnsgerichtsbarkeit ausbildete. War ein Lehn durch den Tod des Inhabers ohne berechtigte Erben oder andere Umstände ledig oder frei, d.h. an den Herrn zurückgefallen, so konnte es wieder verliehen oder in eigenem Besitz behalten werden. Am meisten Bedeutung hatten die Lehen für die geistlichen Stiftungen; denn nicht allein ihres Kriegsdienstes halber brauchten sie Lehensleute, sondern ihre Besitzungen wurden wiederholt von den Königen als Belohnung für geleistete oder zu leistende Dienste in Anspruch genommen; auch andere weltliche Grosse bemächtigten sich mit Genehmigung des Königs oder mit blosser Gewalt der Klostergüter; auch Bischöfe erwarben sich durch Verleihung von Klostergütern kriegerische Mannschaft für ihren eigenen Dienst. Durch die Vereinigung solcher grosser Lehen in der Hand einzelner weltlicher Fürsten wurde eine wesentliche Veränderung in den Besitz- und Machtverhältnissen der Grossen herbeigeführt; es gab Lehen von 1000 und mehr Hufen, welche von den grossen Stiftern für Leistung des Hof- und Kriegsdienstes verliehen wurden. Zuletzt waren fast alle weltlichen Grossen und ebenso die Ritter und Ministerialen an dieser Verwendung des Kirchengutes beteiligt.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 576-579.
Lizenz:
Faksimiles:
576 | 577 | 578 | 579
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon