Parzival

[757] Parzival ist der Held des grossen höfischen Ritterepos von Wolfram von Eschenbach, das nach ihm selber Parzival heisst und zwischen 1200 bis 1207 enstanden ist. Die Handlung des Parzival gehört der Gralsage an; doch haben schon die französischen Quellen des deutschen Gedichtes Züge der Artussage damit verflochten. Der Gehalt des Parzival-Gedichtes ist ein wesentlich ethischer; »Parzival ist das Symbol des Menschen, der Gott sucht, aber in Irrtum und auf Abwege gerät, von Gott sich entfernt, der an Gott in dem Glauben irre wird und zur Verzweiflung gelangt. Aber vor der Verzweiflung findet er Genesung, die Reue erwacht, er besiegt den eigenen Trotz und Hochmut, er wird demütig, und nun erst ist er vollkommen würdig, das geistliche Königtum zu erlangen. Er hatte es gefunden, ohne es zu suchen, in der Herzenseinfalt und Reinheit der Jugend, aber eben in dieser Einfalt den Besitz des höchsten Gutes verscherzt. Das reine Gemüt der Jugend befähigt ihn zum höchsten Besitze; daher vermag Gawein, der diese Herzensreinheit nicht hat, wenn er auch in weltlichem Sinne als ein Ideal des Rittertums bezeichnet werden kann, den Gral nicht zu erringen, die Gralburg nicht aufzufinden. Aber erst wenn der Mensch durch das Feuer des Leids, durch innere Trübsal, durch die Nacht des Zweifels hindurchgegangen ist, gelangt er nach Besiegung des Zweifels in den dauernden Besitz. Sündig wie er ist, muss er in Hochmut, in Verzweiflung an Gott und an sich selbst fallen; aber gereinigt geht er aus diesen Kämpfen hervor zum ersehnten Königtum.« Bartsch, Einleit. Die Aufgabe, einen ethischen Inhalt von so umfassendem Gehalt in die Form romantisch-höfischer Ritteraventüren zu giessen, war sehr schwierig, und schon Wolframs Zeitgenossen haben daher die dunkle Weisheit getadelt, ja verhöhnt. Nachdem über die Bedeutung der Gralsage schon im Art. Gral gesprochen worden, gilt es hier nur eine kurze Skizze der Handlung des deutschen Gedichtes zu geben:

Parzival, mhd. Parzivâl, altfranz. Perceval, bretonisch Peredur (die Schreibung Parsival beruht auf einer von Görres aus dem Persischen aufgestellten falschen Deutung des Namens), ist der Sohn Gamurets aus dem königlichen Geschlechte von Anjou und der aus dem Königsstamme der Gralshüter entsprossenen Herzeloide. Nach des Vaters frühem Tode wird er von der besorgten Mutter, fern von der Welt, in der Einöde Soltane erzogen, damit ihn nicht, wie bei seinem Vater geschehen, ein früher Tod im Kampf erreiche. Da lauscht er nun in kindlicher Unschuld dem Gesang der Vögel. Als er zum Jüngling herangewachsen, ziehen drei gewappnete Ritter durch den Wald, die der Jüngling, in Erinnerung an ein Wort der Mutter, »Gott sei lichter als der klare Tag,« jeden für Gott hält; er erfährt aber von ihnen, sie seien Ritter, und Artus sei es, der Ritterschaft verleihe. Sofort erwacht das unwiderstehliche Verlangen in ihm, vom König Artus Ritterschaft zu erlangen. Zwar lässt ihm die Mutter statt einer Rüstung eines Thoren Gewand anlegen, aus Sacktuch und Kälberfell genäht, und so, als ein tumper, zieht er hinaus in die Welt, die Mutter fällt vor Gram tot zur Erde. Parzival aber gelangt nach Nantes an den Hof des Königs Artus, wo er durch seinen Aufzug solches Aufsehen erregt, dass eine Fürstin, die noch niemals gelacht, durch ihn zum ersten Auflachen bewogen wird. Auch seine rauhe und ungefüge Tapferkeit erregt Aufsehen. Die erste That, die er nun ausführt, ist der Kampf für die von übermütigen Freiern bedrängte Konduiramur[757] dieselbe wird seine Gemahlin, doch lassen ihn Heimatsehnsucht und Wandertrieb nicht lange bei ihr ruhen; er zieht aus, nach seiner Mutter zu sehen. Auf dieser Fahrt gelangt er nun, ohne es zu ahnen, auf die Gralsburg Munsalwäsche; blendende Pracht und Herrlichkeit empfängt ihn im Burgsaale. Ein Knappe bringt eine blutende Lanze herein, bei deren Anblick alle jammern, Jungfrauen tragen Leuchter, silberne Messer und dergleichen, endlich die Königin Repanse den Gral, der alles Wünschbare, auch Speise und Trank in Fülle gibt. Der Wirt schenkt seinem Gaste ein Schwert; da aber Parzival, eingedenk der Lehre eines alten Ritters, dass er nicht allzuviel fragen möge, auch hier die Frage nach der Bedeutung dieser Dinge unterlässt, findet er am nächsten Morgen das Schloss öde und verlassen und sein Pferd gesattelt auf dem Hofe stehen. Bald trifft er nun auf Artus, der mit seiner Ritterschaft den roten Ritter sucht, um ihn in seine Tafelrunde aufzunehmen. Da sich Parzival im Kampf mit Artus' Rittern als der stärkste bewährt, erklären ihn bald alle als der Tafelrunde würdig; man nimmt ihn auf, aber mitten im Feste erscheint vom Grale kommend die Zauberin Cuudrie, verflucht Parzival, weil er die Frage nicht gethan habe, und erklärt die Tafelrunde durch seine Genossenschaft für entehrt. Darauf scheidet Parzival aus der Tafelrunde, deren er sich unwürdig dünkt, und zieht, an Gott verzweifelnd. von dannen, den Gral zu suchen.

Über vier Jahre irrt er nun, fern von Gott und der Heimat, trotzig und verzagt, zweifelnd umher; das Gedicht verliert ihn ganz aus den Augen, um in langer Ausführung die Herrlichkeit des weltlichen Rittertums, deren Held Gawein ist, zu schildern. Nach vier Jahren endlich, an einem Karfreitag, dessen Heiligkeit er durch Waffentragen verunehrt hat, weist ein Ritter im grauen Gewande Parzival zum erstenmal wieder auf das höhere Ziel seines Lebens hin, indem er ihn an die Treue Gottes mahnt. Ein Einsiedler, es ist sein eigener Oheim Trevrizent, belehrt ihn über die Geheimnisse des Grals; sein Bruder Anfortas, der Gralkönig, habe einst auch das Feldgeschrei Amur vor sich hergetragen, darum habe er im Streit unterliegen müssen, sei mit jenem vergifteten Speer verwundet worden und daher siech, obgleich der Anblick des Grals sein Leben friste; Heilung werde er erst erlangen, wenn ein Ritter auf die Gralburg komme und freiwillig nach dem Leiden des Königs und nach dem Gral fragen werde; diesem werde dann Anfortas das Gralkönigtum übergeben; er selber aber, Parzival, sei dafür bestimmt. Nachdem er nun noch zahlreiche Thaten vollführt, und infolge davon in die Tafelrunde des Artus aufgenommen worden, wird ihm durch dieselbe Gralsbotin, die ihn einst verflucht hatte, seine Bestimmung zum König des Grals angekündigt; er zieht auf die Burg, thut die Frage, erlöst seinen Oheim von seinen Schmerzen, nimmt von dem Königtum Besitz und findet zuletzt seine Gattin mit seinen beiden Söhnen Kardeiss und Loherangrin wieder; dieser soll ihm im Gralkönigtum, jener in den weltlichen Reichen seines Vaters nachfolgen. – Als Grundgedanken fasste Wolfram den Gegensatz zwischen dem Streben nach weltlicher irdischer Lust (Gawein) und dem Ringen nach dem geistigen himmlischen Besitze (Parzival). Die Geheimnisse der Gralburg und die verhängnisvolle Frage bilden den Mittelpunkt, um welchen der ganze Stoff sich schürzt. Parzival ist das Symbol des Menschen, der Gott sucht, aber in Irrtum und auf Abwege gerät, von Gott sich entfernt, der an Gott und dem Glauben irre wird und zur Verzweiflung gelangt.[758] Aber von der Verzweiflung findet er Genesung, die Reue erwacht, er besiegt den eigenen Trotz und Hochmut, er wird demütig, und nun erst ist er vollkommen würdig, das geistliche Königtum zu erlangen. Er hatte es gefunden, ohne es zu suchen, in der Herzenseinfalt und Reinheit der Jugend, aber eben in dieser Einfalt den Besitz des höchsten Glückes verscherzt. Das reine Gemüt der Jugend befähigt ihn zum höchsten Besitze; daher vermag Gawein, der diese Herzensreinheit nicht hat, wenn er auch in weltlichem Sinne als ein Ideal des Rittertums bezeichnet werden kann, den Gral nicht zu erringen, die Gralburg nicht aufzufinden. Aber erst wenn der Mensch durch das Feuer des Leides, durch innere Trübsal, durch die Nacht des Zweifels hindurchgegangen ist, gelangt er nach Besiegung des Zweifels in den dauernden Besitz. Sündig wie er ist, muss er in Hochmut, in Verzweiflung an Gott und sich selbst, fallen; aber gereinigt geht er aus diesen Kämpfen hervor zum ersehnten Königtum. Nicht im lauten Treiben der Welt findet Parzival den verlorenen Glauben wieder, sondern in der Einsamkeit bei dem Einsiedler Trevrezent, in welchem er seinen Oheim erkennt. Dieser belehrt ihn, dass Hochmut und Zweifel den Gral niemals erringen können. Trevrezent erzählt ihm, er selbst habe, wiewohl dem Königsgeschlecht des Grals angehörend, der Würde eines Pflegers entsagt und büsse als Einsiedler; sein Bruder Anfortas, der Gralkönig, habe einst im Kampfe das Feldgeschei »Amur« ertönen lassen, weltliche Liebe aber ziemen dem Gralkönige nicht, daher sei er verwundet worden und schleppe ein langes Leben dahin, er könne nicht sterben, da er aus dem Anblick des Grals immer neues Leben schöpfe; aus einer Inschrift am Gral wisse man aber, es werde ein Ritter kommen, der die Frage nach dem Grunde der Trauer auf der Gralburg thue, diesem werde Anfortas das Königtum übergeben. Trauernd und doch voll Trost scheidet Parzival von ihm: schwere Proben muss er bestehen, ehe er das Ziel erreicht. Er muss mit seinem besten Freunde Gawein kämpfen, ohne ihn zu kennen; denn zwischen beiden besteht ein innerer Gegensatz, der zum Austrag kommen muss. Der letzte, schwerste Kampf ist der mit seinem Halbbruder Feirefiz, also mit dem ihm am nächsten stehenden Menschen. Aber auch hier ist der Kampf motiviert und notwendig, weil Feirefiz noch Heide ist. Der nach Gott ringende Mensch darf auch das Teuerste auf Erden nicht schonen. Mit diesem Kampfe, den er für Gawein besteht, ist seine Reinigung äusserlich wie innerlich vollzogen, und er darf in die Gralburg zurückkehren, wo er die versäumte Frage thut, das Königtum gewinnt und sein Weib und seine beiden Kinder wiederfindet. Nach Bartsch in der Einleitung zur Parzival-Ausgabe. Vgl. Birch-Hirschfeld, die Sage vom Gral. Leipzig 1877.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 757-759.
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