[911] Schützenfeste, früher Schiessen, Freischiessen, Gesellenschiessen genannt, sind gegen Ende des 14. Jahrhunderts nachweisbar; sie hängen teils mit der Aufnahme der Armbrüst,[911] teils mit dem in den Städten erwachenden Volksgeist und der Freude an gemeinsamer Festlust, teils mit den ältern Turnieren zusammen, von denen einzelne technische Ausdrücke, wie »rennen«, »stechen« in die Sprache der Gesellenschiessen übergehen. Seit dem 13. Jahrhundert veranstalteten die wehrpflichtigen Stadtbewohner regelmässige Übungen im Gebrauche der Armbrust, die, vom Rate oft unterstützt, eine regelrechte Gestaltung annahmen. Bald trat wie bei allen derartigen Verbindungen des Mittelalters neben das militärisch-soziale ein religiöses Element. Ungefähr seit der Mitte des 14. Jahrhunderts traten die Schützen-Brüderschaften als äusserlich abgeschlossene, organisch geordnete Körperschaften hervor. Seit der Erfindung des Schiesspulvers traten zu den ältern Stahl- oder Rüstungsschützen die jüngern Büchsenschützen. Durch landesfürstliche Gnadenbriefe empfingen sie mancherlei Freiheiten und gaben sich eigene Willküren oder Statuten. Der gewöhnliche Name war Sankt-Sebastians-Brüderschaft, Sankt-Sebastians-Schützen. Jede Brüderschaft hatte ihre eigene Kapelle oder wenigstens einen eigenen Altar. Die Gesellschaftsschiessen waren teils engere Schiessen nach dem vogel oder schiebe, sog. schiesstage, an denen höchstens um geringe Gewinnste, vortel, meist umb die hosen oder um ein zinnern, kandel geschossen wurde; teils das solenne Gesellen-Freischiessen. Ausser dem Ehrenkönige als Jahres-Präsidenten hatten die Brüderschaften ordentliche Vorsteher, Beisitzer und Pfleger. Jede Gesellschaft besass ihr eigenes Panner. Die Schützentracht bestand in älterer Zeit in Eisenkappe mit Schulterkragen, Streitkolben oder Pike, Ledervorschutz und Schild, also einer vollständigen Kriegsrüstung; später blieb ausser Wehr und Waffe höchstens ein farbiger Mantel für die feierlichen Kirchengänge übrig; den Schützenkönig zeichnete bald das Zepter mit dem silbernen Vogel, bald die Ehrenkette mit dem Kleinod aus; die Schützenältesten trugen den Gildestock. Die Aufnahme in die Zahl der brüder, schützenbrüder, kumpane, gesellen, gemein schiessgesellen, war in der Regel durch ehrlich Geschlecht und Herkommen, einen ungetrübten Leumund und den Besitz des städtischen Bürgerrechtes bedingt und erfolgte gegen Erlegung einer Einkaufsgebühr in die Lade. Das oberste Gebot in den Schützen-Satzungen war gesittetes Betragen und ruhiges friedliches Verhalten gegenüber den Genossen sowohl als auf dem Schiessplatze und im Gesellen-Zelte. Bei dem Tode eines Gildenbruders oder seiner Hausfrau hatten sämtliche Glieder der Brüderschaft dem Leichenbegängnisse beizuwohnen.
Eines Freischiessens wird aus dem Jahr 1387 zu Magdeburg, 1394 eines solchen zu Turnay in den Niederlanden erwähnt. Von da an sind sie auch in Süddeutschland ganz gewöhnlich; um 1500 erreichen sie ihren Höhepunkt und zeigen vor dem 30 jährigen Krieg Spuren des Verfalls. Die Schiessen waren ein beliebtes Mittel, der Politik nachzuhelfen und ihr Nachdruck zu verschaffen; gemeinsame Interessen wurden ausser dem Schiessstand besprochen, Reden gehalten; nach einem Krieg fanden sich die Feinde am ehesten wieder auf dem Schützenplatz. Oft war die Zahl der eingeladenen Orte sehr gross, bis 200, und dem ein besonderer Preis ausgestellt, der am witesten har zum schiessen kommen was. Bei dem Ausschreiben ward bei der Armbrust der Umfang des Bolzens, beim Rohr die Schwere der Kugel voraus bestimmt, ebenso die Entfernung des Schützenstandes von der Scheibe, wobei die Länge des üblichen Masses in schwarzer Linie dem[912] Briefe aufgedruckt; dito die Anzahl der abzugebenden Schüsse, die von 12 bis etwa 40 variieren. In noch älterm Gebrauch als die Armbrust steht der Handbogen mit Pfeil; dann kommt seit 1400 die Armbrust; bald nachher tritt die Büchse auf, welche aber an Vornehmheit noch lange der Armbrust nachstand; in der Schweiz namentlich wird die Büchse bevorzugt und hier 1472 das grosse Freischiessen zu Zürich nur für die Büchse ausgeschrieben. Uralt war als Ziel der Vogel auf der Stange; ihn verdrängte jedoch im grössten Teile Deutschlands die Schiessmauer oder schwebende Scheibe. Die Entfernung des Zieles betrug für die Armbrust 340, später 300 Fuss, für die Büchse durchschnittlich 600 bis 750 Fuss. Die Zielstatt war namentlich für die Armbrustschützen vielfach geschmückt, als Holzbau mit Thüren und Stockwerken, mit Triumphbogen, einem Tempel mit Kuppeltürmchen, mit Wappen und Figuren verziert dargestellt; zu oberst ein künstliches Uhrwerk, darauf eine bewegliche geschnitzte Figur, oft Fortuna auf einer Kuppel. Sehr wichtig waren bei jedem Feste die Pritschmeister, welche das Amt des Ausrufers, Stegreifdichters, Polizeibeamten und Possenreissers in sich vereinigten; sie wurden oft von der Fremde, namentlich aus Nürnberg oder Augsburg, verschrieben. Siebner und Neuner heissen die obersten Richter nach dem Schiessrecht, welchen auch die Prüfung der Waffen obliegt. Es war das Bestreben, so viele Schützen als möglich mit Preisen zu versehen; so erhielt der beste Schuss jedes Rennens, der »Zweekschuss« seinen Preis; dann wer die meisten Schüsse zunächst am Nagel gethan; die Hauptgewinne aber waren für diejenigen Schützen, denen am Ende des Schiessens die meisten Zirkelschüsse zusammenaddiert wurden. Ritterschützen heissen die, welche, weil sie die gleichen Schüsse gethan, mit einander stechen müssen. Jeder Schütze musste beim Beginn des Festes einen Geldbetrag, den Doppel, einlegen, dessen Betrag von anfangs 2 Gulden bis auf 12 Reichsthaler stieg. Grosse und kleine Fahnen gehörten zu allen Preisen des Hauptschiessens. Der Preis heisst Abenteuer; Hauptpreise sind ein Widder, ein Ochs, Pferd, in der Schweiz ein »Muni«, oft mit wertvollem Tuch bedeckt; Nebenpreise sind ein kleiner Becher, Silberschale, Gürtel, Armbrüste, Schwert und namentlich Stoff zu einem paar Hosen; bald kommen auch Geldpreise auf, um 1500 sind 101 Gulden das Beste, dann abwärts bis auf 1 Gulden. Die Geldbeträge werden häufig in besondern Festmünzen und Medaillen gezahlt, deren es grosse, kleine, vergoldete, häufig drei- und viereckige gab, s.g. Klippen. Der letzte Schütz, der auf einen Gewinn Anspruch machen konnte, erhielt unter vielen Gratulationen des Pritschmeisters ausser der kleinsten Geldprämie eine Sau, mit einer Fahne, auf der dieses Thier abgebildet war. Neben dem Wettschiessen waren »offene Spiele« eingerichtet, Steinstossen, Springen, Laufen, das letztere für die Gesellen und für die »Frauen«; auch Rosserennen kamen vor, sogar Ringen und Tanzen erhielten wohl Preise; in Augsburg erhielt 1508 auch der einen Preis, der dem Volk die grösste Lüge erzählen konnte. Früh spielte bei den Freischiessen der Glückstopf oder Glückshafen, das Lotto, eine Rolle; es erscheint schon 1467 auf dem Armbrustschiessen zu München. Meist nach G. Freitag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, II, 2, aus dem Jahrhundert der Reformation, Abschnitt 10, die Waffenfeste des Bürgers, und Gengler, deutsche Städte-Altertümer, Exkurs IX.