Spiele

Fig. 154.
Fig. 154.

[926] Spiele sind nicht minder als Wohnung, Nahrung, Kleidung, Recht, Erziehung, Kampfweise u.s.w. ein natürlicher und mit der Entwickelung der Menschen und Völker wechselnder Ausdruck des niederen und höheren Lebens, und es wäre von hohem Interesse, die Entwickelung eines Volkes im Lichte seiner Spiele nachzuweisen. Da die Nachrichten über diesen Stoff nur spärlich sein können, muss man sich hier mit wenigen Notizen und Andeutungen begnügen. Vor allem ist im Auge zu behalten, dass der Natur der Sache nach Spiele der Jugend und der Erwachsenen, der Männer und der Frauen zu unterscheiden sind; erst wenn sich gewisse Stände aus der Allgemeinheit der Bevölkerung ausscheiden, kann man von besonderen Spielen solcher engeren Kreise sprechen, wie von Spielen der Ritter, der Städter, der Landsknechte, der Studenten, der Schulkinder, der Bauern. Zu unterscheiden sind dann Spiele im Freien, welche dem Wechsel der Jahreszeit angehören, namentlich Frühlingsspiele, die grössere Kreise von Teilnehmern umfassen, und Spiele des Hauses, deren Teilnehmer bis zur Zahl zwei sinken kann; jene beschäftigen mehr den Körper, diese den Verstand. Nur im weiteren Sinne, obgleich sie mit Recht denselben Namen Spiel tragen, gehören zu den Spielen diejenigen Spielbeschäftigungen, deren Übung sich mit der Zeit zu einem eigentlichen Berufe ausgebildet hat, wozu die Musik, das Schauspiel und die niederen Spiele der Seiltänzer und dergleichen zählen; daher der im Mittelalter so viel verbreitete Stand der Spielleute, vgl. fahrendes Volk.

Aus altgermanischer Zeit erwähnt Tacitus Germania 24 des Schwerttanzes: Nackte, junge Männer, sagt er, führen dieses Spiel aus, indem sie tanzend zwischen Schwerter und drohende Speere dringen. Sicher ist, dass auch anderer Tanz den Germanen nicht fremd war; ihm kam auch eine wesentliche Rolle bei ihren Gottesdiensten zu. Spiele der Männer waren das Steinstossen, Speerschiessen, Wettlaufen; die Erinnerung an sie ist im Wettkampfe zwischen Brunhild und Gunther erhalten. Auch das Kegeln (siehe diesen Artikel) scheint sehr alt zu sein. Ausserdem erwähnt Tacitus an dem genannten Orte das Würfelspiel; der Germane betrieb dasselbe bei völliger Nüchternheit als ein ernsthaftes Geschäft mit solcher Leidenschaftlichkeit bei Gewinn und Verlust, dass er, wenn sonst alles verloren sei, Freiheit und Person auf den letzten Wurf setzte.

Als mit der Völkerwanderung die altgermanische Sitte allmählich in die des Mittelalters überging,[926] teilten sich die Spiele in diejenigen des Landvolkes und diejenigen der höfischen Kreise; das Landvolk hielt mehr an den offenen Spielen fest und an denjenigen, welche der Wandel der Jahreszeit mit sich brachte: Steinstossen, Springen, Kegeln, Reigentanzen; den grossen und kleinen Höfen fielen die, in ihrer Art umgewandelten Kampfspiele zu, die sich mit der Zeit zu den eigentlichen Ritterspielen, Tjost, Buhurt, Turnier entwickelten; auch die Falkenjagd erhält den Namen vederspil. Die Ausbildung, zum Teil auch die Namengebung dieser Spiele zeigen französischen Einfluss, was namentlich auch vom höfischen Tanze (siehe diesen Artikel) gilt. Auch die erst jetzt auftretende Klasse der Spielleute ist undeutschen Ursprungs. Unter den offenen Spielen namentlich der weiblichen Jugend bürgerlicher Kreise erscheint im Mittelalter zuerst und dann sehr oft das Ballspiel (siehe den bes. Artikel); aus dem 4. Jahrhundert stammt die erste Nachricht vom Brettspiel, welches seit dem 11. Jahrhundert mit dem Schachspiel das beliebteste Verstandsspiel höfischer Kreise war. Daneben ging, niedriger Spielleidenschaft am meisten genügend, das alte Würfelspiel, das freilich von geistlichen und weltlichen Obrigkeiten viel verfolgt wurde; Otto der Grosse verbot es den Geistlichen, Friedrich II. seinen Beamten. Dazu Fig. 154 aus Ingolds goldenem Spiel. Augsburg 1472. Vgl. die Bilder zu Brettspiel und Schachspiel.

Der Charakter des Spieles in der der höfischen Zeit nachfolgenden Periode wird bestimmt einerseits durch die auch im Spiele wirksame Assoziation, andernteils durch die wilde, ausgelassene und raffinierte Art, wie man das Spiel betreibt. Während die ländlichen Spiele ohne Zweifel die ältere Art beibehielten, trat namentlich in den städtischen Spielen das Spielen um Geld in den Vordergrund, wie man aus zahlreichen dagegen gerichteten Ratsverordnungen erkennt; es wurde um Geld gekegelt; in Frankfurt a.M. bestand von 1390 bis 1493 eine Würfel-Spielbank, die von der Stadtbehörde selber betrieben wurde, wie denn überhaupt das 15. Jahrhundert als die Blütezeit leidenschaftlichen Glücksspieles gilt; der Prediger Capistranus, der öffentlich die Spieler ermahnte, ihm Karten- und Spielbretter zum Verbrennen zu übergeben, soll allein in Nürnberg 3640 Spielbretter, über 40000 Würfel und »Kartenspiele ohne Zahl« vernichtet haben; Kartenspiele bilden jetzt einen bedeutenden Handelsartikel. Förmliche Spielstuben wurden eingerichtet, deren Besitzer Scholderer hiessen; auch an Falschspielern fehlte es nicht. Diesem niederen Spielzuge gehört auch das Lotterie-Spiel an; dasselbe kam in Italien auf, wo es daraus entstand, dass Kaufleute,[927] um schnell und mit Vorteil zu verkaufen, jedermann gegen ein kleines Stück Geld eine ihrer Nummern ziehen liessen, auf denen ihre Waaren verzeichnet waren. In Deutschland hiess man das Spiel den Glückshafen oder Glückstopf; in Italien wurde es Lotto (Loos) und seit 1522 Loteria genannt. Anfänglich waren es immer Waren, welche auf diese Art ausgespielt wurden; später wurden Geldpreise daraus. In Deutschland war der Glückshafen seit etwa 1470 an den Schützenfesten gebräuchlich, wo auch die uralten Volksspiele, Steinstossen, Springen und Wettrennen gegen Preise geübt wurden. Sonst wurde dieses Spiel lange bloss für mildthätige Zwecke gestattet und ausgeübt. Siehe Schultz, höfisches Leben I, Abschnitt VI; Weinhold, deutsche Frauen, 2. Aufl. I, 107 ff. Kriegk, Bürgerleben I, Abschnitt 19: die öffentlichen Vergnügungen und Lustbarkeiten, und die besonderen Artikel Brettspiel, Kegeln, Kinderspiele, Schach-, Tanz- und Würfelspiel.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 926-928.
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