[964] Tanz war, je weiter zurück in das Altertum man ihn verfolgt, eine um so wichtigere geselligere Freude, eines der verbreitetsten Spiele des Leibes. Er wird ursprünglich von dem Gesange, dem Lied getragen und trat bei jeder festlichen Handlung, auch bei der religiösen, als notwendiger Teil des Ganzen auf. Tacitus erwähnt Germania 24 des Schwerttanzes, ausgeführt von nackten Jünglingen, die tanzend zwischen Schwerter und drohende Speere springen; Ausläufer desselben sind bis in die neuere Zeit in Städten und auf dem Lande in Übung geblieben. Uralt ist ferner die Bedeutung des Tanzes bei der Hochzeit, wo ihm eine Fülle symbolischer Beziehungen eignet, sodann Tänze um die heiligen Feuer, wie Osterfeuer, Sonnwendfeuer, vielleicht auch die überall verbreiteten Kirchweihtänze und die zahlreichen Tänze, welche das Kinderspiel erhalten hat. Auch Zauberkraft wird dem Tanze, sei es ein wirklicher Tanz, sei es bloss ein Herumgehen um den Gegenstand, wie bei allen indogermanischen Völkern, so auch bei uns, zugeschrieben; man spinnt dadurch gewissermassen einen Gegenstand in den eigenen Machtbereich hinein; so geht man dreimal um die Kirche, um den Heerd, um ein brennendes Haus, um das Feld, um Bäume, um verdächtige Menschen.
Der alte Name für den Tanz ist gotisch laikan, ahd. und mhd. der leich; leichen = hüpfen. Andere Ausdrücke für tanzen waren ahd. salzôn, aus dem gleichbedeutenden lat. saltare, plinsjan aus dem Slawischen, spilôn = spielen, und tumbjan; auch ahd. dinsan und dansôn scheint das Führen und Hin- und Herziehen der Paare bezeichnet zu haben; denn aus dem Stamme dieser Verben ist das romanische danse gebildet, welches die Deutschen seit dem Ende des 12. Jahrhunderts von den Franzosen zurücknahmen.
In der höfischen Periode unterschied man als die beiden Hauptarten des Tanzes den Tanz im engern Sinne, der getreten wurde, und den Reihen, der gesprungen wurde, danser und caroler. Der bloss getretene oder gegangene Tanz war vorzugsweise in höfischen Kreisen zu Hause; es wurde eine Reihe gebildet, jeder Mann nahm eine Frau oder auch zwei bei der Hand, und unter dem Saitenspiele des vorausschreitenden Spielmanns und unter Gesang hielten die Tänzer mit schleifenden leisen Schritten ihre Umgänge. Oder die Gesellschaft schloss einen Kreis, und mit sanfter Bewegung gingen sie singend in der Runde herum, indem der Inhalt des[964] Gesanges durch Mienenspiel und einfache Bewegungen äusserlich dargestellt wurde. Auch den Bauern waren diese ruhigeren Tänze nicht unbekannt, sie wurden aber wesentlich zur Winterszeit in den Stuben getanzt; besondere Namen dafür sind die Stadelweise, der Ridewanz, der Firggandray, der Mürmum, der Trypotey. Instrumentalmusik und Gesang war sowohl dem Tanz als dem Reigen eigen; ein Vorsänger oder eine Vorsängerin leitete ihn; die Frauen gingen rechts von den Männern und wurden entweder bei der Hand oder am Ärmel geführt; herumgetanzt ward nach links.
Die Reigen waren gesprungene Tänze und namentlich von alter Zeit her beim Landvolke in Gebrauch. Sie wurden seit dem 14. Jahrhundert immer wilder. Besondere Reigennamen sind der krumme Reier, der Hoppaldei, der Heierleis, Firlei, Firlefei und Firlefanz; manche dieser Namen scheinen dem Slawischen, Flämischen oder Französischen anzugehören, andere erklären sich durch mundartliche Ausdrücke und aus der kecken Sprachbildungslust des ausgehenden Mittelalters. Reihen werden wohl auch die Frontänze gewesen sein, die ursprünglich den Zweck gehabt zu haben scheinen, die Grundherrschaft zu unterhalten, und später als eine symbolische Anerkennung der Herrschaft dienten; man findet sie in Thüringen und in der Rheinpfalz. In Langenberg im Geraischen mussten z.B. jedes Jahr am dritten Pfingstfeiertage die Bauern von mehr als acht Dörfern paarweise zusammenkommen, um unter einer Linde in Gegenwart ihrer Herrschaft einen Tanz aufzuführen; von der Herrschaft erhielten sie Bier und Kuchen; man nannte diese Tänze auch Pfingst- oder Diensttänze.
Aller Tanz wurde entweder durch Gesang oder durch Musik, Geigen, Pfeifen, Flöten, Zithern, Trommeln oder Tamburin begleitet. Das Tanzlied wurde gewöhnlich von einem Vorsänger oder einer Vorsängerin vorgetragen und die Menge stimmte nur in den Refrain ein oder sang die einzelnen Verse nach. Der Inhalt der Tanzlieder war ein sehr verschiedener: Liebeslieder, politische und Rügelieder, Scherzlieder, am häufigsten natürlich das Liebeslied; doch sind auch historische Tanzlieder reichlich vertreten, und man darf annehmen, dass die alten Heldenlieder in ältester Zeit zu den Tänzen gesungen wurden; das nahe Verhältnis des Tanzes zum erzählenden Gedicht hat sich im romanischen Namen des Tanzliedes, ballata, erhalten. In bezug auf die Form gehört der Leich (siehe diesen Art.) mit seinen wechselnden Rhythmen mehr dem springenden Reigen, das strophische Lied dem tretenden Tanze. Oft verband sich mit dem Tanze das Ballspiel.
Der Tanz kommt zwar zu jeder Zeit vor, doch ist er vorzugsweise Spiel des Frühlings, wo das Volk ganze Tage vertanzte. Sonst wählte man am liebsten, dem stets wiederholten Kirchenverbote zum Trotz, Sonn- und Feiertage. Zum Schmucke der Weiber, wenn es zum Tanze ging, gehörte vor allem der Kranz auf dem Haupte, der zuweilen auch der Preis war, um den bei dem Ringeltanz von den Gesellen gesungen wurde. Siehe den Artikel Kranz. Auch ein kleiner Spiegel war beliebt; er wurde in der Hand getragen oder hing an einer seidenen, um den Hals gewundenen Schnur; Männer kamen wohl mit dem Schwert bewaffnet zum Tanze.
Das Volk tanzte am liebsten unter freiem Himmel, und es gab daher an vielen Orten zum Tanzen bestimmte, besondere Räume im Freien, Tanzbühel, Tanzplan oder Tanzrain; dahin führende Wege heissen Tanzwege und Tanzgassen.[965] Hier nun wurde um eine Linde herum getanzt, oder man errichtete für die Kirchweih oder andere Feste einen bedeckten, mit Maien geschmückten Tanzboden, der Tanzhaus, Tanzhütte oder Tanzlaube hiess. Die höfische Gesellschaft tanzte im geschlossenen Raum, im Saal oder Palas, unter Umständen aber auch vor der Burg. In den Städten gab es wohl eigene Tanzhäuser, in den Dörfern Spielhäuser, welche ebenfalls zum Tanzen dienten. In manchen Städten benutzten die Patrizier die Ratsstube zum Tanzen, oder ein anderes öffentliches Gebäude, besonders aber die Zunftstuben. Nicht bloss die Kirche eiferte gegen das Tanzen: dasselbe stamme vom Teufel ab und der erste Tanz sei der Tanz der Juden um das goldene Kalb gewesen; sondern auch die weltlichen Obrigkeiten erliessen Verbote gegen Tanzüberschreitungen.
Eine eigentümliche Sitte war am Rhein das Mai-Lehen. Dasselbe bestand darin, dass am Ostermontag oder am Vorabend des 1. Mai unter die versammelten Burschen eines Ortes die Jungfrauen desselben versteigert wurden, von welchen letzteren dann eine jede das Jahr hindurch nur mit ihrem Ersteigerer tanzen durfte Das erlöste Geld wurde für die Tanzmusik und für die Bewirtung der Maifrauen, d.h. eben der ersteigerten Mädchen verwendet. In St. Goar aber geschah die Versteigerung auf dem Rathause und der Erlös floss in die Stadtkasse.
Auch ein Hahnentanz wird als ein »fremdländischer« und »heidnischer« Tanz erwähnt; er bestand darin, dass die Paare um eine Stange tanzten, auf dessen Spitze ein Hahn befestigt war, und dass dabei der Tänzer springend das Ende eines an der Stange quer angebrachten Armes zu berühren suchte, auf dem ein gefülltes Glas stand. Gelang es ihm, dieses dadurch zum Umfallen zu bringen, so hatte er einen der ausgesetzten Preise gewonnen. Weinhold, deutsche Frauen, 2. Auflage, I, 389391; II, 157182. Kriegk, deutsches Bürgertum, I, 415423; vgl. Schröder, die höfische Dorfpoesie, in Gosches Jahrb. f. Lit. Gesch. I, Berlin 1865. Voss, der Tanz und seine Geschichte. Berlin 1870.
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