Bellóna

[538] BELLÓNA, æ, Gr. Ἐνυὼ, όος, contr. οῦς, ( Tab. XII.)

1 §. Namen. Den lateinischen Namen Bellona hat solche Göttinn von Bellum, der Krieg; daher sie denn auch ehemals Duellona genannt worden, weil man für Bellum auch Duellum gesagt hat. Varro de L. L. lib. VI. c. 3. & lib. IV. c. 10. Griechisch heißt sie Ἐνυὼ, welcher Namen zwar von den Lateinern auch gebraucht und Enyo ausgesprochen, Sil. Ital. Lib. X. v. 203. & Stat. Theb. lib. VIII. v. 658. sonst aber von einigen von ἐνίημι, einlasse, weil sie den Streitenden Muth und Stärke eingiebt, von anderen aber durch einen Gegensinn von ἐνηὴς, sanftmüthig, gar nicht sanftmüthig, hergeleitet wird und die Tödtende heißen soll. Phurnut. de N.D. c. 21.

2 §. Herkunft. Sie soll eine Tochter des Phorcys und der Ceto gewesen seyn. Hefiod. Theog. v. 273. Einige halten sie für eine Tochter des Mars, andere für dessen Mutter, und die dritten für dessen Amme; Phurnut. de N.D. c. 21. dafern sie aber des Mars Schwester gewesen, Varro de L. L. lib. IV. c. 10. so muß sie auch eine Tochter des Jupiters seyn, als welcher des Mars Vater gewesen. Hygin. Præf. p. 9.

3 §. Stand und Wesen. Sie wird für die Göttinn des Krieges gehalten. Augustin. de C. D. lib. IV. c. 2. & Suidas in Ἐνυώ. soll aber doch nur des Mars Wagen angespannet und geführet haben, Stat. Theb. II. 718. 719. für dessen Gemahlinn sie mit angegeben wird. Lact. Plac. & Suidas ap. Gyrald. Synt. X. p. 320. Einige wollen sie für einerley mit der Pallas halten, Lud. Viues ad Augustin. l. c. welches aber in so fern unrecht ist, weil beyde zugleich für Führerinnen der Kriegenden [538] angegeben werden. Homer. Il. Ε. v. 334. & Pausan. Messen. c. 31. Noch andere halten sie auch mit der Diana, Juno und Venus für einerley, Apulejus ap. Voss. l. c. lib. II. c. 27. zuförderst aber mit der Luna, und, da der Krieg vornehmlich von dem Zorne entsteht, dieser aber so wohl dem Weibes- als Mannsvolke beywohnet, so wird sie, ungeachtet sie ein Frauenvolk ist, daher auch nicht ungeschickt für die angegeben, welche sie seyn sollen. Voss. Theol. gent. L. VIII. c. 18.

4 §. Bildung. Man giebt ihr insgemein eine blutige Geißel in die Hand, welche sie schwenket, Virgil. Aen. VIII. 703. Lucan. Pharsal. VII. 568. und stellet sie vor, wie sie vorn auf des Mars Wagen sitzt, und dessen beyde Pferde, Pavor und Formido, damit antreibt. Claudian. in Russin. lib. I. v. 342. Jedoch wird sie auch wohl mit einem blutigen Spieße, Quint. Smyrn. ap. Barth. ad Stat. Theb. lib. VII. v. 73. oder mit einer brennenden Fackel in der Hand gebildet, womit sie das Zeichen zu dem bevorstehenden Kriege giebt, Stat. Theb. IV. v. 5. auch wohl mit der gleichen Braut und Bräutigam vorleuchtet, wenn deren Beylager Krieg und dergleichen nach sich ziehen soll. Id. Achill. I. v. 33. & ad eum Barth. l. c. In den Schlachten lief sie mit ihrer Fackel zwischen den Heerscharen hin und her, wobey sie ihre gelben Haare, die mit Blute besprenget waren, zerstreut um den Kopf fliegen, unter der Brust aber ein tödtliches Gemurmel hören ließ; Sil. Ital. lib. V. v. 221. zuweilen aber auch wohl obbesagte Pferde an statt der Peitsche mit einem Spieße antrieb. Stat. Theb. VII. v. 73. & ad eum Schol. Vet. l. c. Auf einigen Denkmälern und auf den Münzen der Bruttier erscheint sie oft mit dem Mars zugleich und mit einem Spieße und Schilde bewaffnet. Montfauc. Antiq. expliq. T. I. P. I. Tab. 67. Es ist aber schwer, sie von der Pallas genug zu unterscheiden.

5 §. Verehrung. Sie hatte ihren Platz unter denen Göttern, welche die gemeinen hießen, und wurde an Macht dem Mars gleich geachtet Serv. ad [539] Virg. Aen. XII. 118. Bey den Griechen hatte sie zwar ihre Statüen; Pausan. Attic. c. 8. doch findet sich nichts von einigen Tempeln, oder andern sonderbaren Verehrungen. Hingegen machten die Römer desto mehr Wesen von ihr; wie denn ihr besonderer Tempel in der neunten Region der Stadt stund, welchen ihr Appius Claudius im 456 I. Roms in dem Kriege mit den Samniten gelobete; Livius lib. X. c. 19. und, als er ihn hernach auch erbauet hatte, so stellete er nicht nur sein und seiner Vorfahren Bildnisse in demselben, sondern hieng auch deren gesammte Schilde darinnen auf. Plin. H. N. lib. XXXV. c. 3. Nach der Zeit pflegete sich der Rath in demselben zu versammlen, wenn wegen der Triumphe, Livius lib. XXVIII. c. 9. oder auch mit feindlichen Gesandten gehandelt wurde. Id. ib. XXX. c. 21. Er lag aber nahe an dem carmentischen Thore, außerhalb der Stadt, Id. ib. XXVIII. c. 38. ungefähr, wo jetzo das Kloster di Tor di Specchi zu sehen ist. Nardin. lib. VI. c. 2. Vor demselben stund eine kleine Bildsäule, die Kriegerische genannt, an welche man bey jeder Kriegeserklärung eine Lanze warf. Ovid. Fast. VI. v. 205. & ad eum Heins. l. c. Hiernächst wurde ihr zu Ehren auch der 4 Junii gefeyret, Id. ib. v. 199. & Gyrald. Cal. Rom. p. 835. und ihre Priester, die von ihr Bellonarii hießen, Acron. ad Horat. ap. Gyrald. Synt. X. p. 321. pflegten ihr mit ihrem eigenen Blute zu opfern, indem sie sich mit Messern und dergleichen die Schenkel oder Arme und Schultern verwundeten, und das Blut mit der hohlen Hand auffasseten. Tertull. in Apolog. c. 9. Sie hielten dabey in beyden Händen bloße Schwerter, mit welchen sie, als unsinnig, umher liefen, und tobeten, allein zugleich in solcher Raserey auch von zukünftigen Dingen weißageten. Tibull. lib. I. Eleg. 6. v. 45. Lactant Iust. divin. lib. I. c. 21. §. 16. welches denn jährlich den 24 März geschah. Casaub ad Lamprid. Commoa. c. 9. Sonst wurde sie auch noch in Paphlagonien und Kappadocien verehret, woselbst sie ihre gar berühmten Tempel [540] und Priester hatte. Freinsh. Supplem. Liv. lib. CII. c. 8. Sonderlich war ihr Dienst in den beyden Städten Komana, deren eine in Kappadocien, die andere in Pontus lag, sehr ansehnlich Der Tempel in dem kappadocischen Komano hatte viele eigenthümliche Ländereyen, deren Einkünfte der hohe Priester genoß, und unter ihm stund eine große Menge Leute, die zu dem Dienste des Tempels bestellet waren. Sein Ansehen und seine Würde war so groß, daß nur der König über ihm war; daher man ihn auch gemeiniglich aus der königlichen Familie wählete; und er besaß diese Würde zeitlebens. Die Anzahl der zum Dienste gewiedmeten Personen männliches und weibliches Geschlechtes belief sich über sechs tausend. Diesen Gottesdienst soll Orestes mit seiner Schwester Iphigenia aus dem taurischen Scythien dahin gebracht haben, woselbst er nur einen andern Namen geführet hat, und der Diana Tauropolos Gottesdienst geheißen. Strabo Georg. L. XII. p. 535. & 557.

6 §. Deutung. Einige, wie schon erinnert worden, machen sie zu einer Göttinn mit der Diana, Juno, Venus, Apuleius ap. Voss. Theol. gent. lib. II. c. 27. und auch selbst der Pallas, Banier Entret. VI. ou P. I. p. 164. zuforderst aber soll sie der Mond seyn, wie Mars die Sonne. Da nun die Luft viel zur Erregung der Gemüther beyträgt, der Mond aber seine Gewalt insonderheit wieder über die Luft mit erweist, so soll derselbe auch in den Gemüthern der Menschen bald Furcht, bald Muth verursachen, Voss. l. c. und folglich für die Ursache dieser Gemüthsbeschaffenheiten auch die Bellona mit können angesehen werden, die man denn daher endlich gar leicht vollends zu einer Göttinn des Krieges mit machen kann.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 538-541.
Lizenz:
Faksimiles:
538 | 539 | 540 | 541

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon