Bildhauerkunst

[539] Bildhauerkunst, Sculptur, Plastik, im weiten Sinne, ist diejenige der bildenden Künste, welche Figuren, Bilder aus harten Stoffen, wie Stein, Holz, Metall etc. darstellt, und zwar entweder in runder, nach allen Seiten freier, sichtbarer Form, oder in halbrunder, aus einer Hinterfläche mehr oder weniger erhaben hervortretend (Relief). Nach Verschiedenheit des Materials u. der Bearbeitung zerfällt die B. in mehrere Zweige, in die Plastik. oder B. im engern Sinn, die aus Stein arbeitet; in die Bildschnitzerei (s. d. A.), die Bildgießerei (s. d. A.) und die Treiberei, welche die Bilder aus Metallblechen austreibt. Die ersten Anfänge der B. sind geschichtlich nicht nachweisbar. Die Anfänge der Bildhauerarbeit, rohe Versuche, finden wir in den Denkmälern auf den Inseln des großen Oceans und im mittlern Amerika, deren letztere (die mexikanischen Sculpturarbeiten) indeß schon einen weitern Fortschritt zeigen. Bei den Aegyptern tritt uns zuerst eine höhere Ausbildung und ein umfassender Gebrauch dieser Kunst entgegen. Aber wie bei ihren Baudenkmälern so herrscht auch in ihren Bildern das Gesetz strenger Abgemessenheit und Starrheit, in ihrer Großartigkeit zwar oft geeignet zu feierlichem, jedoch nicht ästhetischem Eindruck, ausdruckslos. ohne Leben und freie Bewegung. Mehr Ausbildung der Form zeigen die Kunstdenkmäler des westl. Asiens, wie sie uns die Ausgrabungen des alten Ninive darbieten u. die Reste persischer Kunst in den Ruinen von Persepolis, zwar durchgehends, besonders die ersteren, einem strengen Style folgend, doch schon größere Manigfaltigkeit in der Darstellung und Composition, und die Körper, besonders die Thiergestalten, oft von sehr richtiger u. schöner Zeichnung. Die Sculpturarbeiten der alten Inder, eines phantasiereichen Volkes, sind allegorische Darstellungen. aber unnatürlich und phantastisch. – Ihre höchste Stufe erreichte die B. bei den Griechen, deren poetisch durchbildete Religion mit ihrer Idealisirung der Menschengestalt der Ausbildung dieser Kunst besonders förderlich war, nicht weniger die gymnast. Spiele, welche die Schönheit [539] des Körpers in Form u. Bewegung zu unmittelbarer Anschauung brachten. Doch waren es zuerst bloß Gefäße und Geräthe, Weihgeschenke. womit die Kunst sich bei ihnen befaßte; Ausgezeichnetes leisteten hierin besonders die Schulen von Samos und Chios. Später erst folgte die Darstellung von Menschen u. Göttern; die Anfänge waren roh und hart, doch schon im Beginne zeigten ihre Bilder mehr Bewegung und Leben, als bei den frühern Völkern. Bald aber stieg die Kunst auf eine hohe Stufe, es bildeten sich Schulen von Aegina, Athen, Sicyon etc. und die uns erhaltenen Arbeiten aus dem 6. und Anfangs des 5. Jahrhunderts v. Chr., besonders die aus Sicilien und Aegina sind von hohem Werthe. Am höchsten stand die Plastik der Griechen im Zeitalter des Perikles. Hier blühten Phidias. sein Schüler Alkamenes etc. Kraft und Erhabenheit in Form und Haltung, Ernst und Majestät im Ausdrucke sind der Charakter der Werke aus dieser Zeit. Dies ist die erste Periode der Blüthezeit. Eine zweite Periode fällt in das 4. Jahrh. v. Chr. mit den Meistern Skopas, Praxiteles, Lysippus etc. Sinnlicher Reiz und zarte Schönheit sind der Charakter dieser Periode. In dieser Zeit wurde auch mehr der bloße Marmor verwendet, während die Bilder früherer Zeit aus mehrfachem Material bestunden, so die nackten Theile aus Mormor, das Gewand aus Holz mit dünnem Goldüberzug (Akrolithen) oder jene aus Elfenbein, diese mit Goldblech überzogen (Chryselephantinen). – Gleichzeitig mit der griech. blühte die Sculptur der Etrusker, jedoch mehr in Thonbildungen, Gefäßen und Reliefs, später auch im Erzguß. Sie waren in dieser Kunst die ersten Lehrer der Römer. bis sie von den Griechen, deren Künstler nach Rom übersiedelten, verdrängt wurden. Diese Zeit griech. Kunst in Rom, vom 1. Jahrh. der Kaiserzeit bis nach den Antoninen, kann als ihre 3. Periode, die des Stillstands und der Nachblüthe bezeichnet werden, in welcher sie neben Nachahmung des Frühern, besonders auch der Verherrlichung der Geschichte der Gegenwart diente, durch Bildwerke an öffentlichen Monumenten, Darstellung von Kriegern und Staatsmännern (Triumphbogen, Säulen). Diese Periode war indeß noch immer reich an großen Werken, darunter besonders der Apollo von Belvedere, Laokoon und die meisten auf uns gekommenen Werke griech. B. stammen aus ihr. Zur Zeit der Antonine beginnt ihr gänzlicher Verfall. – In den ersten Jahrhunderten des Christenthums fand die Plastik im Occident wenig Pflege und kam bloß noch zu Decorationen und Ornamenten in Anwendung, doch sind uns hievon noch schöne Reste, namentlich in den Sarkophag-Sculpturen erhalten. Auch in Konstantinopel wurde wenig Bedeutendes in dieser Zeit geleistet, obgleich die Kunst dort noch eifrigere Pflege fand als im Occident. Im 11. Jahrh. erst erwachte auch in Deutschland die Plastik wieder und im 12. und 13. Jahrh. begegnen wir schon trefflichen Arbeiten dieser Kunst, besonders in den sächs. Ländern. Das Erscheinen und die Ausbreitung des german. Baustyls endlich zog auch die Bildhauerei mit sich empor und erweckte nicht bloß größere Thätigkeit, sondern auch geistigere, tiefere Auffassung; die vielen ausgezeichneten Bildnereien, welche die Kirchen und Dome jener Zeit schmücken, bezeugen dies genügend, obgleich uns nur wenige Namen der Künstler aufbewahrt sind. – In Italien hob zuerst Nicola Pisano um die Mitte des 12. Jahrhunderts die tief gesunkene Kunst wieder und sein Sohn Giovanni wirkte mit Eifer für die Einführung des german. Styls. Nach ihm sind besonders zu nennen Andrea Pisano, Orcagna, später Jacopo della Quercia, Ghiberti, Luca della Robbia und Donatello. Am höchsten aber stand die ital. Plastik im Anfang des 16. Jahrhunderts, zur Zeit Leos X., durch Andrea Contucci, Michel Angelo Buonarotti, Benvenuto Cellini, deren Werke einen kräftigen und erhabenen Styl zeigen. Nach ihnen verfiel die Plastik in Geziertheit und Ueberladung und sank immer mehr. – Die Sculptur Frankreichs seit dem 16. Jahrh. lieferte weniges von Bedeutung, jedoch einzelne treffliche Arbeiten in der ersten Zeit, während später franz. Uebertreibung und Ziererei überhand nahm. –- [540] Einen eigenthümlichen und großartigen Aufschwung nahm endlich die B. in der neuesten Zeit; tieferes Studium der Natur und der antiken Kunst, letzteres besonders angeregt durch Winkelmann, erweckten sie zu neuem, frischem Leben. Der Italiener Canova und der Schwede Sergel waren die ersten Führer auf dem neu gewonnenen classischen Boden, ihnen folgten der Spanier Alvarez, der Franzose Chaudet, die Deutschen Trippel, Dannecker u. vor allen der Däne Thorwaldsen, unter den jüngern besonders Schwanthaler. Einer etwas andern Richtung folgten die norddeutschen Künstler, voran Schadow und Rauch.

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 539-541.
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