Religion

[700] Religion, lat.-deutsch, das angeborne Gefühl unserer gänzlichen Abhängigkeit von einer höhern Ordnung der Dinge, von Gott, dann objectiv der Inbegriff von Lehren und Geboten, worin sich die religiöse Ueberzeugung ausspricht, nach Staudenmaiers Begriffsbestimmung die bewußte, freie und lebendige Gemeinschaft des Menschen mit Gott. Wie es nur einen Gott und eine Wahrheit und eine freie endliche Vernunft gibt, so gibt es im Grunde auch nur eine R., die auf der Uroffenbarung Gottes an das Menschengeschlecht beruht u. in ihrer Vollendung das Christenthum ist, s. Offenbarung, Christus; allein durch die Folgen des Sündenfalles entstanden vielerlei R.sformen, die unter sich sehr verschieden sind aber alle das Gemeinsame haben, daß sie mehr oder weniger auf Verirrungen des religiösen Bewußtseins hinauslaufen. – Positive R., die durch Belehrung von Außen gegebene, natürliche R., die R., insoweit sie in der geistigen Organisation des Menschen wurzelt und sich aus u. mit dieser durch die Außenwelt entwickelt. In diesem Sinne ist natürliche R. gleichbedeutend mit Vernunft-R. Eine Vernunft-R. aber, die lediglich ein Erzeugniß der ursprünglichen Vernunftgesetze und berufen sein sollte, über alle R.en, die christliche am wenigsten ausgenommen, zu Gericht zu sitzen, beruht auf der pantheistischen Anschauung, als ob die Vernunft der Menschheit oder vielmehr die Vernunft dieses oder jenes Philosophen absolut sei und positive R. ihr nicht immer und überall Noth thue. Wie grundfalsch solche Anschauung ist, dafür redet laut: a) die Geschichte aller Völker mit Ausnahme der Hebräer und der Christenheit, indem selbst die sog. Culturvölker, bei denen die Vernunftentwicklung am höchsten gedieh, sich durch eigene Kraft keineswegs allmälig zu höheren Stufen des religiösen Bewußtseins emporarbeiteten, sondern vielmehr entweder in geistige Erstarrung versanken wie die Inder und Chinesen oder tiefer und tiefer durch die Emancipation von ihrer R. in Unglauben, Aberglauben u. Laster, an denen sie zu Grunde gingen wie die alten Griechen und Römer; b) wo immer diese oder jene Lehre bis heute sich als Vernunft-R. gebärdete, war dieselbe genau besehen, wo nicht sonnenklare Unvernunft so doch ein Gemengsel von Sätzen, der positiven R. entlehnt und diese verwässernd mit der Zeitwissenschaft. – Praktische R, was Religiosität; Staats-R., die in einem Staate als herrschend anerkannte R.; R. swissenschaft, was Gottesgelehrtheit, Theologie. – Wie wichtig die Geschichte der R.en sei, geht schon daraus hervor, weil in der religiösen Anschauung u. im religiösen Leben eines Volkes der Schlüssel zum Verständniß seiner ganzen Geschichte liegt, aber bis heute fehlt ein genügendes Werk dieser Art, da die vorhandenen z.B. von Meiners, Eckermann, Kraft u.s.f. nicht nur an Unvollständigkeit, sondern mehr oder minder auch an Einseitigkeiten leiden.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 700.
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