Priester Johannes

[614] Priester Johannes, lat. Joannes presbyter, ein fabelhafter Priester-König, der auch in der Graalsage vorkommt u. von dessen Macht und Herrlichkeit und Wohnsitz im äußersten Osten Asiens die Chronikenschreiber des späteren Mittelalters, ein Otto von Freisingen, Jakob von Vitry u.a. Wunderbares zu erzählen wußten. Historisch ist, daß die Nestorianer im 11. Jahrh. einen Tartarenhäuptling, den Fürsten von Karaït, bekehrten, dessen Nachkommen gleichfalls Christen waren u. einmal einen Versuch zur Vereinigung mit Rom unternahmen, weßhalb Papst Alexander III. 1177 einen Legaten dahin sandte, 1202 aber der Macht Dschingis-Khans unterlagen. Die Sage von P. I. wurde in ihren Uebertreibungen eifrig von den Nestorianern verbreitet. Die Milde der ersten mongolischen Herrscher gegen die Christen und die Kreuzzüge trugen das Ihrige dazu bei, sie wunderbar auszuschmücken, der Bericht des Mönchs Wilhelm von Rubruquis, der im 13. Jahrh. im Reiche des P. I. war und erzählte: der Name P. I. sei dadurch veranlaßt worden, daß ein nestorianischer Priester sich wirklich auf den Königsthron schwang u.s.w. war nicht sehr geeignet, die nüchterne Wahrheit zu enthüllen. Seitdem im 15. Jahrh. die Portugiesen die Entdeckungsfahrten begannen, hielt man lange Abyssinien für das Reich des P I.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 614.
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