Semler

[182] Semler, Joh. Salomo, prot. Theolog u. Haupturheber der sog. historisch-kritischen Richtung im Gebiete der prot. Theologie, geb. 1725 zu Saalfeld, wurde 1750 Zeitungsredactor in Koburg, 1751 Professor der Geschichte an der Universität Altorf, kam 1752 durch Baumgartens Einfluß als Professor der Theologie nach Halle, wurde 1757 Director des theologischen Seminars u. st. 1791, nachdem er in den letzten Jahren viele Kränkungen erduldet hatte, namentlich auch von früheren Freunden, die auf seiner Bahn vorauseilten. S. besaß Gelehrsamkeit u. Scharfsinn, aber als Bibelkritiker mußte er auf Abwege gerathen, da er die Bibel von vornherein behandelte wie irgend einen griech. oder römischen Autor und an der Sucht litt, Neues und Unerhörtes vorbringen zu wollen. Während Ernesti die grammatische Erklärungsweise in die Höhe brachte, machte S. Epoche mit der sog. historischen, welche das Nationale, Locale u. Temporelle scharf vom Wesentlichen u. allgemein Wahren sondern u. namentlich im Auge haben sollte, daß Jesus u. seine Jünger sich den jüdischen Zeitvorstellungen anbequemten; vgl. Accommodation. Wie sehr solche Erklärungsweise aller subjectiven Willkür Thür u. Thor öffnete, zeigte sich bereits an S. selbst, denn er fand als Kern des Christenthums keine Dogmen, sondern nur moralische Wahrheiten, sah in der Apokalypse lediglich »das Werk eines chiliastischen Schwärmers zur Beförderung fanatischer Erwartungen vom Messias«, in den Besessenen Wahnsinnige u.s.f. Nicht verschwiegen darf werden, daß er 1780 das Christenthum gegen die Wolfenbüttler Fragmente (vgl. Reimarus) und gegen den berüchtigten Dr. Bahrdt vertheidigte und als Theosoph u. Rosenkreuzer endigte.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 182.
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