Wunder [1]

[753] Wunder (das Wort hängt mit verwundern zusammen, wie das lat. miraculum mit miror), bezeichnet im allgemeinsten Sinne alles, was Verwunderung erregt, das Auffallende, Staunen erregende, Außerordentliche, dann das Unbegreifliche, Unerklärbare, dessen Wesen oder Ursachen auch dem Gelehrtesten ein Räthsel sind; in diesem Sinne läßt sich sagen, daß wir in einer Welt voll von W.n leben. In der engsten und strengsten Bedeutung aber nennt man W. diejenige Handlung od. That, welche nicht das Ergebniß der wirkenden Naturkräfte, sondern unmittelbar durch Gottes Allmacht hervorgebracht ist. Das W. ist die zweite Form der übernatürlichen Offenbarung, als deren erste die Inspiration gilt, von welcher sich das W. unterscheidet, insofern dieses sich an den äußern Sinn des Menschen wendet, von außen auf den Geist einwirkt. Das erste W. ist die Schöpfung der Welt, das größte die Menschwerdung des Sohnes Gottes; wer an diese glaubt, dem fällt auch nicht bei, an den W.n Jesu herumzumäkeln u. dies um so weniger, weil leicht nachgewiesen werden kann, jedes derselben habe einen mit dem Erlösungswerke zusammenhängenden göttlichen Zweck gehabt und alle zusammen den Hauptzweck, Jesum als den allmächtig über der Natur mit ihren Gesetzen stehenden Gottessohn zu beglaubigen. Hinsichtlich der vom Teufel od. durch Zauberei gewirkten W. erinnern die Theologen, daß dieselben falsche od. Schein-W. gewesen, welche erstens den von Gott oder in Gottes Auftrag gewirkten W.n gegenüber sich stets ohnmächtig zeigten und in ihr Nichts zerfielen, zweitens einen dem Zwecke der wahren W. entgegengesetzten, unheilbringenden hatten. – W. bar, in der Kunst gleichbedeutend mit phantastisch; W. gabe, die Macht W. und Zeichen zu wirken, von Gott den Aposteln, manchen großen Heiligen u.s.w. verliehen; W. sucht, der Hang, überall Uebernatürliches im Spiele zu sehen z.B. die gewöhnlich im Geisteshochmuth wurzelnde fixe Idee mancher, daß Gott u. die himmlischen Mächte sich ganz besonders mit ihnen beschäftigen und bei jedem Schritt und Tritt sich auf irgend eine Weise kundgeben; W. thäter, griech. Thaumaturg, wer W. vollbringt.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 753.
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