Andacht-Lied

Um Genüglichkeit

[69] Nach der Singweise: Wie nach einer Wasserquelle, usw.


1.

Schöpfer aller Menschenkinder,

Grosser Gott, ich klage dir,

Daß ich stäts, ich böser Sünder,

Murre wider dich in mir.

Immer will ich meistern dich,

Bässern dein Geschöpfe mich:

Nur denk ich zu werden immer

Grösser, aber niemals frömmer.


2.

Seh' ich einen, der gelehrter,

Der beglückter ist als ich,

Der da reicher und geehrter,

Straks mein Hertz entrüstet sich;

Trotzig denkt es und voll Neid:

Was soll dieser Unterscheid?

Ich möcht auch wohl solche Gaben,

Ich solt sie vor jenem haben.


3.

Ach Herr! ich bin dein Geschöpfe,

Du hast mich aus Erd gedreht

Wie ein Döpfer seine Döpfe,

Und in deinem Willen steht,

Was du machen magst aus mir.

Solt ich widerstreben dir?

Ach! du kanst mich schmeissen nieder

Und zu Scherben machen wieder.


4.

Gnad ist alles, was wir haben,

Nichtes du uns schuldig bist.

Du gibst alle gute Gaben,

Wie es dir gefällig ist.

Laß mich diß bedenken recht,

Laß mich als ein frommer Knecht

Frölich deines Willens leben,

Seyn vergnügt mit deinem Geben.


5.

Herr! hier bin ich, dein Gefässe:

Leg darein, was dir beliebt,

Deinem weisen Raht gemässe.

Deine Hand mir nützer gibt,

Als mein Hertz verlangen kan.

Diß nur forder' ich dir an:

Wollest – diß nur ich begehre –

In mich fassen deine Ehre.
[69]

6.

Laß mich kein Gefäß der Sünden

Noch deß Satans Werckzeug seyn,

Daß du mich stäts reine finden

Und in mich mögst fassen ein

Deine Gnade, die da nit

In ein Kohtgeschirr einzieht.

Nun, Gott! dein sind alle Gaben:

Was ich soll, das werd ich haben.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 69-70.
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