Andacht-Lied

Wider den Neid

[70] Nach der Singweise: Hertzlich tuht mich verlangen, usw.


1.

O Gott, ich muß dir klagen,

Verklagen selber mich,

Von meiner Boßheit sagen,

Die kränket mich und dich:

Ein Wurm nagt mich im Hertzen,

Der dürre, blasse Neid,

Er plaget mich mit Schmerzen,

Versalzt mir alle Freud.


2.

Hat einer viel zu zählen,

Prangt er mit Witz und Kunst,

Beglückt ihn sein Vermählen,

Lust, Ehr' und Menschengunst:

Ich kan es gar nit leiden,

Ich denke: seine Ehr,

Sein Gut und seine Freuden

Gebührten mir vielmehr.


3.

Dein sind, O Gott, die Gaben:

Es kommt von dir allein,

Was der und jener haben;

Und weß sie sollen seyn,

Das steht bey deiner Güte,

Du schenkest, wem du wilt.

Dein Aug siht ins Gemüte,

Kein Ansehn vor dir gilt.


4.

Ein Vater oft auf Erden

Ein Kind vor andren liebt,

Und ich solt murrend werden,

Wann Gott auch diß verübt?

Mag doch ein Mensche schenken,

Was, wann und wem er wil,

Und ich solt Gott verdenken,

Ihm setzen Maß und Ziel?


5.

Laß mich am Bruder lieben

Die Gaben, sie sind dein,

Mich freuen, nicht betrüben,

Mit ihm dir dankbar seyn.

Was? solt ich scheel aussehen,

Da du so gütig bist?

Der Geber hört sich schmähen,

Wann mich die Gab verdriest.


6.

Du wirst, wann mir es nütze

Und seelig dort und hier,

Mehr Ehre, Glück und Witze,

Mehr Gaben schenken mir.

Mit Murren und mit Neiden

Poch ich dir nichtes ab:

Ich mach mir selbst nur Leiden

Und doch nichts mehrers hab.


7.

Seh ich die Bösen grünen:

Ihr Himmelreich ist hier.

Die Hölle schnappt nach ihnen,

Sie büssen dort dafür.

Ich mag auf Erden haben

Mein' Höll' und leiden Leid:

Der Himmel wird mich laben

Mit süsser Ewigkeit.

Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 70.
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