Verrat!

[140] Verrat – ihr habt's gesprochen,

Verrat – ihr habt's erkannt.

Es sei mit euch gebrochen;

Die Brücken sind verbrannt.

Doch habt ihr selbst vergessen,

Wie ihr das Volk verkauft,

Wie ihr euch auf Kongressen

Um Kronen habt gerauft?


Erst lief er vor dem Berge,

Der deutsche Sumpf, davon,

Dann höhnten sie, die Zwerge,

Die Revolution,

Die Nüchternen den Zecher,

Der endlich niedersank,

Weil er den Freiheitsbecher

Bis auf die Hefen trank.


Schönredner, mit der Urne

Der toten Herrlichkeit,

Beschritten im Kothurne

Die Bühne unsrer Zeit;

Sie haben in dem Schutte

Den Unrat aufgerührt,

Den Geßlerhut, die Kutte

In Frankreich eingeführt.
[140]

Auf heißer Opferstätte

Habt ihr, nach deutscher Art,

Vergoldet unsre Kette

Und – vor dem Rost bewahrt.

Schleppträger der Bourbonen –

O pfui, ein garstig Lied!

Wo sind die Nationen,

Die Deutschland nicht verriet!


Zu Zeugen ruf ich Polen,

Das Heldenvolk, herbei,

Das dreimal ward bestohlen

In schnöder Räuberei;

Zu Zeugen jene tote

Italische Republik, –

Fluch euch, Ischariote

Der deutschen Politik!


Wir wollen's auch verraten,

Das schlechte Vaterland

Der vierzig Potentaten

Und deinen Unverstand,

Wie du in grauer Ferne,

O Volk, dein Heil erschaust

Und lieber auf die Sterne

Als auf dich selbst vertraust.


Wir wollen es verkünden,

Verraten laut und dreist,

Was ihr für »Burgen gründen«

Wollt unserm deutschen Geist;

Verraten, welche Schelle

Zu deutschen Ohren klingt

Und welche trübe Quelle

Im deutschen Sande springt.
[141]

Wie du das Wort beschnitten,

Eunuchen-Regiment,

Wie feige wir's gelitten

Und was man Freiheit nennt,

Freiheit für »das erstarkte

Germanische Geschlecht«:

Den Stock auf offnem Markte

Und das geheime Recht!


Wie ihr in blindem Schnauben

Das letzte Licht erstickt

Und euren alten Glauben

Mit neuen Lappen flickt

Und wie wir die Genarrten

Bei eurer Weisheit sind

Und wie in deutschen Karten

Der König nur gewinnt;


Wie ihr, getreue Stände,

Den Rücken biegt so krumm,

Wie offen eure Hände,

Und euer Mund – wie stumm!

In Rätseln und in Runen

Hüllt ihr nur Knechtssinn ein;

Ihr könnt nicht die Tribunen

Des deutschen Volkes sein!


Drum sei mit euch gebrochen!

Die Brücken sind verbrannt.

Verrat! ihr habt's gesprochen,

Und ihr habt recht erkannt.

Du Land, das sonder Scheue

Zertritt die junge Saat,

Du machst Verrat zu Treue

Und Treue zu Verrat!
[142]

Quelle:
Herweghs Werke. Berlin und Weimar 1967, S. 140-143,145.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Geistliche Oden und Lieder

Geistliche Oden und Lieder

Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon