Zukunftslied

[145] Übermüt'ge Triumphierer,

Weh euch, wenn ihr's noch nicht fühlt,

Wie der treffliche Minierer

Schon den Boden unterwühlt,

Daß ihr in der Geisterstunde

Kläffend unser Ohr zerreißt! –

Doch wir wissen, ihr seid Hunde,

Und ihr glaubt an keinen Geist.


Aber kommen wird ein Pfingsten

Donnernd über euer Haupt

Und ein Festtag der Geringsten,

Der des Hochmuts Stamm entlaubt.

Der sich lange selbst vergessen,

Ist am Ziel der Unglücksbahn,

Und der Mensch, der sie durchmessen,

Kommt beim Menschen endlich an.


Fort mit eurer Ahnenbilder

Übernächtigem Gesicht!

Geht und pflanzt in eure Schilder,

Ritter, ein Vergißmeinnicht!

Nur ein Ritter ohne Tadel,

Nur ein Priester soll noch sein:

Für die ganze Welt den Adel!

Für die Menschheit Brot und Wein!


Keine Steuern, keine Zölle,

Des Gedankens Freiverkehr!

Keinen Teufel in der Hölle,

Keinen Gott im Himmel mehr![145]

Nieder mit dem Blutpokale,

Drin der Kirche Wahnwitz kreist!

Ein Kolumb zerbricht die Schale,

Wenn er eine Welt beweist.


Einmal noch uns aufzuraffen

Zu des Lebens Maienlust,

Reißen wir das Schwert der Pfaffen

Aus der Menschheit wunder Brust!

Zwischen Jägern und Gehetzten

Sei entbrannt die wilde Schlacht,

Bis man Frieden auf dem letzten

Eingestürzten Tempel macht.


Zittert, zittert, blöde Toren,

Vor der Zukunft eh'rnem Tritt –

Ja, die Zeit ist neu geboren,

Ja, und ohne Kaiserschnitt;

Und erobert wird das Leben,

Und wir jubeln gloria:

Alle Schulden sind vergeben,

Denn kein Gläubiger ist da.


Durch die Wolken seh ich's tagen,

Und die Nebel, sie verwehn;

Mit dem Pegasus am Wagen

Muß es endlich vorwärtsgehn.

Eine Phalanx laßt uns schlingen,

Die kein Henker brechen kann,

Und wie jener Römer singen,

Nur: die Waffen und den Mann!


Ungestüm in tausend Gliedern,

Tausend Adern glüht der Streit,

Und ein Arsenal von Liedern

Liegt in Deutschland kampfbereit.[146]

Denn wir wissen, die Erhörung

Wird kein Flehender empfahn:

Drum die Fahne der Empörung

Trag die Poesie voran!


Quelle:
Herweghs Werke. Berlin und Weimar 1967, S. 145-147.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon