Nach einem alten Liede

Sagt, wo sind die Veilchen hin,

Die so freudig glänzten,

Und der Blumen-Königinn

Ihren Weg bekränzten?

»Jüngling ach! der Lenz entflieht:

Diese Veilchen sind verblüht.«


Sagt, wo sind die Rosen hin,

Die wir singend pflückten,

Als sich Hirt' und Schäferinn

Hut und Busen schmückten?

»Mädchen, ach! der Sommer flieht:

Diese Rosen sind verblüht.«
[51]

Führe denn zum Bächlein mich,

Das die Veilchen tränkte,

Das mit leisem Murmeln sich,

In die Thäler senkte.

»Luft und Sonne glühten sehr:

Jenes Bächlein ist nicht mehr.«


Bringe denn zur Laube mich,

Wo die Rosen standen,

Wo in treuer Liebe sich

Hirt' und Mädchen fanden.

»Wind und Hagel stürmten sehr:

Jene Laube grünt nicht mehr.«


Sagt, wo ist das Mädchen hin,

Das, weil ich's erblickte,

Sich mit demuthvollem Sinn

Zu den Veilchen bückte?

»Jüngling! alle Schönheit flieht:

Auch das Mädchen ist verblüht.«
[52]

Sagt, wo ist der Sänger hin,

Der auf bunten Wiesen

Veilchen, Ros' und Schäferinn;

Laub und Bach gepriesen?

»Mädchen, unser Leben flieht:

Auch der Sänger ist verblüht.«

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 48-49,51-53.
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