Das neundte erbauliche Seelen-Lied

[308] Nach der Weise unseres bekanten Weyhenachten-Gesanges: Ein Kindelein so löbelich ist uns u.s.w.


1.

Ich weiß, o mein Herr Jesu Christ,

Daß, weil ich leb auff Erden,

Das Creutz mit mir verknüpfet ist

Und ich versucht muß werden.

Bald plagt mich Krieg, bald Hungers-Noht,

Bald Kranckheit schier biß auff den Tod,

Bald muß ich unrecht leiden;

Der Lügner läst mir keine Ruh',

Er setzt mir offt so grimmig zu,

Daß ich wünsch' ab zu scheiden.
[308]

2.

Ich bin geplagt bey Tag' und Nacht,

Ich muß voll Angst hie wallen.

Des Satans Zorn und grosse Macht

Beschweret mich für allen.

Die Sünde macht mir gar zu bang',

Es währt das Creutz auch viel zu lang',

Ich förcht, ich muß verzagen.

Wo sol ich hin, ich armes Kind,

Im Fall' ich kein Errettung find?

Herr, höre doch mein Klagen!


3.

Mein Seelichen, ermuntre dich,

Hör' einmal auff zu schreyen.

Dein Gott, der zürnt nicht ewiglich,

Er wil dich bald befreyen.

Was ist doch unser Lebensgang?

Ein Augenblick, ja kaum so lang;

Es ist sehr bald geschehen,

Daß wir nach dieser kurtzen Zeit

In übergrosser Herrlichkeit

Den Herren Jesum sehen.


4.

Ich seh' jhn schon dem Glauben nach;

Ey solt' ich dan nicht hoffen,

Daß sich wird bessern meine Sach?

Es steht der Himmel offen;

Da seh' ich in dem Freudenland'

Und zwar zu Gottes Rechtern Hand

Den Herren Jesum prangen.

Nun ist vollendet bald mein Lauff.

Mein Heyland, nim mich gnädig auff

Und stille mein Verlangen.


5.

Was acht' ich Trübsal, Angst und Pein?

Was frag' ich nach den Schmertzen,

Die härter sind als Stahl und Stein,

Ja quälen Seel und Hertzen?

Was sol das seyn, so mich beschwert?

Diß Leyden ist ja nimmer wehrt

(Wie Paulus selbst bekennet)

Der grossen Ehr' und Freudenzeit,

Welch' in der süssen Ewigkeit

Uns Gottes Kinder nennet.


6.

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt,

Drumb darff ich nicht erschrecken.

Er ist der Held, der mich erhebt,

Er wird mich aufferwecken

Und als sein' ausserwehlte Braut

Mit Adern, Sehnen, Fleisch und Haut

An jenem Tag' umbgeben.

Da wil ich dan verkläret stehn

Und Gott mit meinen Augen sehn.

O wundersüsses Leben!


7.

So tobe nun, Welt, Teuffel, Tod,

Laß tausend Trübsal kommen:

Mich schrecket weder Angst noch Noht,

Die Furcht ist mir benommen.

Es währt doch alles Creutz und Leyd,

O Seelichen, nur kurtze Zeit;

Drumb darff ich das nicht scheuen.

Bald kompt die Stund', in der ich mich

Die Welt quitirend ewiglich

Mit Jesu werd' erfreuen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 308-309.
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