Der ewige Schneider.

[102] Der Toni – das war derselbe, der das Sprichwort hatte: »Ich möcht' mir sonst nichts wünschen, wie daß ich bei meiner Leich' als kleiner Bub' hinten nachlaufen kunnt.«

»Du bist narrisch, Toni,« sagten ihm herauf die Leute und andere meinten: »Du bist nicht gescheit, Toni.« Nur einen kannte ich, der ihm auf sein Sprichwort stets entgegnete: »Ja, Toni, das glaub' ich, daß du bei deiner Leich' als kleiner Bub' hinten nachlaufen möchtest.« Und dieser eine war ich. Wir saßen beisammen und nähten mitsammen, und auch beim Schwätzen ging uns der Faden nicht aus. Und wollte er schon mitunter ausgehen, so verstand der Toni das Anknüpfen. »Ja,« berichtete er, »deshalb spar' ich meine Sach' zusamm', daß ich eine schöne Leich' krieg'. Werdet's schon finden unter meinem Kopfpolster, das Testament. Nur nichts Trauriges, das ist langweilig. Die Musikanten müssen was Lustiges aufspielen; Walzer nicht, die schicken sich nicht auf dem Freithofweg; den Radetzkymarsch, oder so was, daß es recht klingt im Wald und die Leut' mit Takt traben können. Und daß sie mir nur das Sacktuch mit in die Truhen geben. Alsdann nach dem Begräbnis eine gute Tafel, daß ein Schippel Leut' mitgeht.«[103]

»Glaubst du denn, daß sie dich zur Tafel lassen werden, wenn du als Gassenbub' hinten nachläufst?« Diesen Einwand machte ich.

»Ist mir auch nichts drum, ich laß sie essen und geh' meinem Schneerutschen nach, oder ist's in anderer Jahreszeit, dem Krebsenfangen oder dem Vogelnesterausheben; ein Schlingel bin ich, ein Schlingel bleib' ich und ich mag tausendmal auf die Welt kommen.«

Er arbeitete gern, der Toni, aber stets nur mit größeren Unterbrechungen. Er hatte einmal ein schwarzes Röcklein aus seinem Tuche halb erworben, halb geschenkt bekommen, und wenn er das trug, war es, als dehne sich der Mann schlank in die Länge. Man konnte nicht sagen, an dem Toni sei ein seiner Weltmann verloren gegangen, der seine Weltmann war ja doch da und zeigte sich; wenn er Schnaps trank oder betteln ging, voll liebenswürdiger Herablassung seiner Umgebung. In das gewöhnliche Gespräch der Leute mischte er sich nicht gern, er verlegte sich nur auf die Philosophie. Und da sagte mancher von ihm: »Ewig schade, daß der nicht studiert hat, der hat was im Kopf!«

»Haben die Apostel studiert?« fragte er. »Wem's angeboren ist, was braucht denn der noch zu studieren! Gebt acht, was ich das nächste Mal tue!«

Mit dem nächsten Male meinte er das neue Leben, wenn er wieder auf die Welt käme; denn es erging ihm, wie es allen Optimisten ergeht, sein Wunsch war ihm zum Glauben geworden.

Einer Bettlerin Kind war der Toni gewesen, hatte sich durch vierzig lange Jahre heraufgedarbt und heraufgelitten[104] bis zum Bauernschneidergesellen, der länger auf der Wander ist als in der Arbeit und dessen Ideal in einer »schönen Leich'« besteht, als ob das Sterben nur so eine Art Jubiläum wäre, welches jeder, der seine Sach' ehrlich durchgemacht; etwa von siebzig zu siebzig Jahren einmal das Recht hat, zu begehen. Und in diesem Manne die Sehnsucht nach Wiederholung seines Lebens!

»Ein Mittel wüßte ich schon, daß du als Bübel hinter deinem Sarg dreinlaufen könntest,« sagte ich ihm einmal, »heiraten.«

»Narr!« rief er, »da lauft ja das Weib hintendrein und sucht sich unter den Leidtragenden den Zweiten.«

»Und meinst nicht, daß auch ein kleiner Bub' da sein kunnt?«

»Ein halb Dutzend kann da sein, und Mädeln auch so viel, das sag' ich dir! – Aber halt eine Sach' ist zu bedenken. – Ich weiß nämlich nur eine, die ich möcht'.«

»Eine ist ja genug.«

»Ganz gewiß auch. Aber nehmen will sie mich nicht. Für einen, sagt sie, wäre ich ihr zu gescheit und für zwei zu dumm. So foppt sie mich.«

Ich war damals schlecht genug, darauf zu entgegnen: »So foppe du sie auch!« worauf er mir ins Ohr flüsterte: »Sie läßt sich aber nicht foppen.«

Seine Angebetete war eine schöne Wirtstochter zu Mürzzuschlag – »die ehr- und tugendsambste Jungfrawen im Land Steier«, wie er sie in Anwendung alter Leseart gern bezeichnete.

Sonst soll ihm seine Mutter gesagt haben, ein Handwerk müsse er lernen, damit er einstmals einen Hausstand[105] gründen könne. Und jetzo war ihm just dieses Handwerk im Wege, denn »keinen Schneider nimmt sie nit«.

»Deswegen,« sagte der Toni schwermütig, »wenn ich noch einmal auf die Welt komm', kein Schneider werd' ich nimmer.«

»Wirst es aber vergessen haben, mein lieber Toni,« entgegnete ich in würdigem Ernste der Weisheit, »wirst es vergessen haben, daß du schon einmal ein Schneider gewesen bist und daß dir der Stand nicht gefallen hat!«

»Desweg sag' ich ja, daß sie mir ein Sacktuch mit in die Truhen geben sollen. Siehst du!« und er zog sein Tuch aus dem Sacke, »schon jetzt mach' ich einen Knoten d'rin, daß ich nicht vergeß' d'raus.«

»Und was willst du nachher werden?«

»Ein reicher Stadtherr.«

»Da wär's wohl schad' um den Knoten,« meinte ich.

»Da denkst ganz gescheit,« sagte der Toni, »ganz gescheit denkst. – Und jetzt möcht' ich dich nur fragen, ob dir's auch so ist; ich hab' so Augenblicke, wo es mir vorkommt, als ob ich schon einmal auf der Welt gewesen wäre.«

»Du,« entgegnete ich und ließ die Nadel ruhen, »mir kommt's auch bisweilen so vor. Das ist merkwürdig!«

»Wenn man nur wüßte, was man gewesen ist. Ich muß in einem Lande gewohnt haben, wo die Sacktücher nicht Brauch sind, sonst hätte ich sicherlich –«

»Geh, geh, mit deinen Knoten! Das ist ein Spaß für einmal, den laß gut sein. Wenn ich so nachsimulier' über die Sach' von wegen ehemals und es zuckt mitunter so ein Licht'l auf – g'rad' so wie ein Licht'l[106] möcht ich sagen – so deucht mich, ich bin derselbig' Tropf gewesen, wie jetzt.«

»Meinst? Ja, nachher ist's vielleicht doch so, daß wir als kleiner Bub mit unserer Leich' mitrennen.«

»Ja, du, Toni, was glaubst denn! Wenn das alleweil so fortginge, wann käme so ein armer Schneider hernach in den Himmel?«

»Weißt,« antwortete der Toni und stützte den Ellbogen auf das Knie, »der Himmel! Mich lust's nicht gar so stark nach dem Himmel. Hab' ich mein Stückel Brot zu essen und mein Glas Apfelmost, nachher laß ich's gut sein.«

Und wirklich, er ließ es gut sein, der Toni. Und es war gut. Und es ist heute noch gut. Vielleicht seid ihr ihm auf irgendeiner Straße schon begegnet.

Das ganze alte Kerlchen, welches sich heute noch so innig des irdischen Sonnenscheins erfreut, daß sogar die Zehen aus den staubgrauen Stiefeln hervorgucken in die lichte Welt. Er geht schon recht bucklig, aber emsig wie ein Wiesel. Sein Bart ist viel weißer als die Pfaid, die ihm am Ellbogen hervorschaut. Der Mann trägt fast nichts mit sich, als ein Spazierstöckchen, das er ganz sein zu schwingen versteht und das sich hinwiederum mächtig biegt und baucht, so oft er sich drauf stützt. Nicht wahr, er ist euch schon begegnet? Und ist euch nicht sein rascher, zierlicher Gang aufgefallen? Er muß ja auch sein Käppchen gelüftet und euch gegrüßt haben – flink und lustig gegrüßt und gütig dabei, als wollte er euch was schenken. Seht, der ist's, das ist mein spintisierender Toni.[107]

Ich zweifle nicht, er wird sterben, der Toni, aber er wird nicht aussterben, er wird immer ein ärmliches Leben führen, er wird immer possierliche Hirngespinste weben, er wird sich im Gegensatze zu Ahasver immer nach ewigem Leben sehnen, wird auf all seinen Wegen und Stegen hüpfen, hopsen und tänzeln mit leichtem Fuß, alleweil guten Mut's, alleweil ein wenig windig, kurzum – der ewige Schneider.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 102-108.
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