Die Gesponß Jesu klaget noch ferner jhre lieb

[28] 1.

Wan morgenröth

Die nacht ertödt[28]

Mit jhren gülden stralen/

Wach ich zu Gott/

Zu meinem Gott/

Ruff jhn zum offtermahlen.


2.

Ich wach zu Gott/

Zu dir mein Gott

Mein Augen zu dir kehre/

Vnd ruff dan frey/

Mit mattem schrey/

Mich dürst nach dir so sehre.


3.

Ich wein zu dir/

Seufftz mit begier/

O liebster meines hertzen!

Mein trewer Gott/

Ist mir kein spott/

Die lieb mich setzt in schmertzen.


4.

Bin matt vnd müd/

Fast ohn geblüt/

Die kräfften seind erlegen:

Die gantze nacht

Hab viel gewacht/

Ich kaum die zung mag regen.


5.

Mein hertz von mir/[29]

Weicht gar zu dir/

O gott mein trost alleine!

Seufftz also viel/

Ohn maß vnd ziel/

O wee der schwären peine!


6.

Mit starckem brand/

Ist dir bekand/

Bin ich so gar befangen:

O süsses band:

Laß ab zuhand/

Sonst tödt mich groß verlangen.


7.

Drumb Gott nur eil/

Dan deine pfeil

Recht spielen mir zum leben/

Ich sterbe schir/

Daß glaube mir/

Mit noth ich bin vmbgeben.


8.

Wan ich nit bald/

Bey dir erhalt

Daß deiner mög geniessen/

Wird also stracks/

Wie weyches wachß/

Daß hertz in mir zerfliessen.
[30]

9.

Mit wahrem mund/

Auß hertzen grund/

Ich sprich mit thewren wohrten/

Hab ruh/ noch rast/

Ich leb im last/

Fast aller end/ vnd orten.


10.

Ich wohnet stät

In wüsten öd/

Da meint ich ruh zu finden;

Nun ist kein land

So vnbekandt/

Da nicht die lieb kom hinden.


11.

Wan ich vermein/

Weit weg zu sein/

Gefreit für jhren pfeilen;

Da rüst sie sich/

Verfolget mich/

Vnd wärens tausent meilen.


12.

O, Gott vnd Herr/

Waß wär so serr/

Da sie nit gleich solt kommen?

Kein rast/ noch ruh/

Nun finden thu/[31]

Lieb hat mich vbernomen.


13.

Wan dein begird/

Mein hertz regirt/

Für leidt kan ich nit sprechen;

Für süsser noth/

Für süssem todt/

Daß hertz möcht mir zerbrechen.

14.

Süß ist der schmertz/

Gesund daß hertz/

Für frewd ich muß ermatten:

Ja kranck daß hertz/

Herb ist der schmertz/

Bey Sonnenschein ist schatten.


15.

Bald diese stundt

Ich bin verwundt/

Vnd sinck für todt darnider;

Bald selbe stundt

Ich bin gesundt/

Steh auff/ vnd lebe wider.


16.

O wunder Dunst!

O kühle Brunst!

Wer wolt es je vermeinen/

Daß brenn/ vnd kühl[32]

Alß jetzt ich fühl/

Die lieb daß marck in beinen.


17.

Die lieb ist fewr/

O abenthewr!

Ist wasser auch im gleichen:

Bringt hertzen leid/

Bringt hertzen frewd/

Muß eins dem andern weichen.


18.

Offt mannigfalt/

Ich bin mißstalt/

Werd vmb/ vnd vmb getrieben/

Hett nie gedacht

An solche macht/

Alß ich fieng an zu lieben.


19.

All mein gemüth/

All mein geblüt

Mir thut für frewden wallen/

So nur allein/

O Gott/ mir dein

Gedächtnüß ein kombt fallen.


20.

Dein edler stamm/

Dein süsser nam

Verwund mir mein gemüthe.[33]

Dein angesicht/

Dein augen-licht/

Entzünd mir mein geblüte.


21.

Wan ich zu nacht

Von dir betracht/

Mit lieb/ vnd last beladen;

Mein augen beyd/

Für frewd vnd leyd

In warmen zähren baden.


22.

O starcke lieb!

O hertzen dieb!

Waß wilt mit mir viel pochen?

Vergebens mich

Setz wieder dich:

Mein Seel hast du durchstochen.


23.

Nim vollends hin/

All meine sinn;

Nim alles weg zur stunden:

Bin lauter dein/

Vnd gar nit mein;

Geb gantz mich vberwunden.

24.

Ach/ ach/ wie geh

Wird mir so weh![34]

Kan reden mehr noch dichten/

Die sprach besteht/

Vnd krafft vergeht/

Begierd mich hin wil richten.

Quelle:
Friedrich Spee: Trutznachtigall, Halle a.d.S. 1936, S. 28-35.
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