f.

[132] Im Jahre 1289 vermachte eine fromme Frau zu Wildeshausen ihr gesamtes Vermögen dem Erzstifte zu Bremen mit der Bestimmung, daß zunächst für die Alexanderskirche zu Wildeshausen eine neue große Glocke daraus gestiftet werde. Bei dem Tode der Frau fand sich aber, daß zur Herstellung einer solchen Glocke, wie die Frau sie gewollt, das ganze Vermögen verbraucht werden müsse, und das Erzstift hielt es für ratsam, von dieser Verwendung abzusehen. Als das Kapitel zu Wildeshausen auf Vollstreckung des Testamentes bestand, weigerte sich das Stift anfangs, da die Erblasserin in einem mündlichen Testamente kurz vor ihrem Tode die Verwendung des Vermögens dem Ermessen des Stifts überlassen habe. Endlich aber nach heftigen Streitigkeiten wurde eine Glocke für die Alexanderskirche angeschafft, jedoch bei weitem nicht von der Größe, welche die Erblasserin bestimmt hatte. Als der Vorsitzende des Stifts, der am meisten gegen die Ansprüche der Wildeshäuser gekämpft hatte, durch Stimmenmehrheit genötigt wurde, seinen Namen unter die bewilligende Verfügung zu setzen, wütete er in gottlosen Reden und verfluchte die Erblasserin[132] und ihr ganzes Geschenk in den Abgrund, verfolgte auch mehrere Wildeshäuser Geistliche auf das heftigste. Die Glocke ward in dem Turm aufgehängt, aber man versäumte, sie zu weihen. Als sie nun am Sulpiciustage1 1293 zum ersten Male gebraucht werden sollte, riß sie sich mit unsichtbarer Kraft von ihrem Platze los und flog in die Stöckenkampswiese, wo sie tief einsank, so daß keine Bemühungen, sie wieder herauszubringen, gelangen. An der Stelle, wo sie einsank, entstand ein tiefer Kolk, der jetzt ausgefüllt, aber eine Niederung geblieben ist. Alljährlich am Sulpciustage kommt die Glocke aus der Tiefe hervor, so daß sie oben an der Oberfläche gesehen werden kann, und fängt an zu läuten. Wer sie sieht und hört und eine Sünde wider Gott begangen hat, ohne Buße getan zu haben oder desselben Tages zu tun, hat auf Erden keinen frohen Augenblick mehr. (Nach W.M. Krito, Nachrichten über Wildeshausen, § 2, Manuskript der öffentlichen Bibliothek zu Oldenburg).

1

Es gibt 2 h. Sulpicius, sie fallen auf den 14. Januar und 3. Oktober.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. CXXXII132-CXXXIII133.
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