249.

[455] Der wilde Jäger, hinter welchem die Gestalt Wodans, des höchsten aller Götter, sich verbirgt, ist nach der jetzigen Auffassung des Volkes nur ein Wiedergänger, aber überall bekannt und hat bis auf den heutigen Tag sich so viel Eigentümliches bewahrt, daß es wohl gerechtfertigt ist, ihm eine besondere Stellung anzuweisen. Der wilder Jäger ist ein Mensch, welcher seiner Jagdlust auch an Sonn- und Feiertagen nachhing und dafür verdammt wurde, bis an den jüngsten Tag zu jagen. So kommt im Saterlande die Deutung vor, der frühere Herr von Esterwege, einer im Moore liegenden, mit Bäumen bewachsenen Sandinsel unweit Lorup, sei der ewige Jäger und reite in jeder stürmischen Nacht in der Geisterstunde auf einem weißen Schimmel über Moor und Wiesen, über Busch und Fluß, um seine alten Besitzungen in Augenschein zu nehmen. Sonst pflegt man keine bestimmten Namen zu nennen, allein im übrigen ist eine ähnliche Anschauung allgemein verbreitet. Der Jäger heißt der ewige, der englische, der hellische (höllische), der himmlische, der wilde, der Weltjäger. In Scharrel hört man auch den Namen Wojnjäger, doch wird behauptet, daß derselbe sich von dem ewigen Jäger unterscheide und der Teufel selbst sei. Indessen sind ja die Begriffe des Teufels und eines verdammten Wiedergängers überhaupt schwer aus einander zu halten, und so darf auch hier auf diese Unterscheidung schwerlich viel Gewicht gelegt werden, zumal auch der als Wiedergänger gedachte ewige Jäger sich mit der Drake, die ja nur eine besondere Gestalt des Teufels ist, einzeln berührt.[455] – Bröring (Saterland I, 107) will für Woynjäger Woajenjäger-Wagenjäger gesetzt haben. Man sage im Saterland von der wilden Jagd Wodans: Di Woajen jaget oder di Woajen klatert, das heißt der Wagen (Wodans) fährt schnell, rasselt.

In stürmischen Winternächten zieht der wilde Jäger mit einer bellenden Meute durch die Luft; wie einige sagen (Scharrel), im Anschlage auf einen Hasen, den er vor sich her treibt. Zuweilen ruft er oder bläst sein Horn oder pfeift seinen Hunden, und Blasen und Pfeifen und Halloruf wie das Bellen der Hunde sind auf Erden deutlich vernehmbar. Auch bei ruhigem Wetter jagt er, aber dann hört man hauptsächlich nur das Kläffen und Pläffen der kleinen Hunde, die im Eifer der Jagd einer dem andern voran eilen. Ungläubige behaupten, dies feinere, hochgestimmte Pläffen stamme von mövenartigen Seevögeln (richtiger wohl von Sumpfvögeln), die in großen Scharen sehr hoch am Himmel von oder nach dem Meere ziehen und sich fortwährend anrufen. Die Winternächte sind die Zeit der wilden Jagd und unter ihnen vorzüglich die zwölf Nächte von Weihnachten bis heil. drei Könige, an deren Stelle in den protestantischen Landesteilen oftmals die Nächte von Weihnachten bis Neujahr genannt werden. Jedoch wird die Zeit einzeln auch weiter gegriffen, so vom 12. Dez. bis heil. drei Könige (Lastrup), oder selbst das ganze Jahr nur mit Ausnahme der hellen Nächte. (Saterld.) Vgl. 293.

Der wilde Jäger kommt aus England und durchzieht die ganze Welt. Nicht selten steigt er mit seinem ganzen Gefolge auf die Erde herab. Nur auf Stahl und Eisen darf er sich ausruhen (Hümmling), während man sich sonst gegen ihn wie gegen jeden bösen Zauber mit Eisen zu schützen sucht. Wenn die hellische Jagd geht, ziehen die Wolken schneller als gewöhnlich; dies ist aber nur Schein, denn es sind verwünschte und in Hunde verwandelte Menschen, welche keine Ruhe finden können und zwischen Himmel und Erde schweben. (Lastrup.)

Die wilde Jagd muß man still über sich weg ziehen lassen; wenn man ruft oder pfeift, so läuft man Gefahr, daß ein oder mehrere Hunde sich von jener absondern und einem ins Haus kommen, um dort ein volles Jahr am Herde zu liegen. Darum soll man abends überhaupt nicht pfeifen. Auch schließt man in den Zwölften mit Sonnenuntergang Tür und Fenster, denn auch der Schein von Feuer und Licht lockt mitunter[456] einen Hund von der wilden Jagd ins Haus. In Lastrup soll es die Osttüre sein, die vom Sonnenuntergang bis zum Morgen verschlossen gehalten werden muß. Der ewige Jäger leidet nicht, daß in den Zwölften irgend etwas rund umgehe (Wagenrad, Spinnrad, Haspel und dergleichen), und verlangt, wenn dies Verbot in einem Hause mißachtet wird, zur Sühne die beste Kuh oder doch ein Kalb als Futter für seine Hunde, oder er lagert einen Hund auf ein Jahr bei dem Übertreter ein. Zwischen dem Wojnjäger oder Wagenjäger und dem Siebengestirn besteht nach Mitteilungen aus Scharrel ein nicht genauer anzugebender Zusammenhang. (Das Siebengestirn erscheint am Himmel, wenn die rauhe Jahreszeit beginnt und mit der rauhen Jahreszeit beginnt auch das Treiben des Weltjägers.) – Eine Sage von einem Jäger, der zur Strafe für seine Ruchlosigkeit mit seinen Hunden ewig jagen muß, findet sich 176g. Derselbe hat aber ein durchaus begrenztes Gebiet und ist kein die ganze Welt durchstürmender Jäger.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. CDLV455-CDLVII457.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg
Aberglaube Und Sagen Aus Dem Herzogtum Oldenburg (Paperback)(German) - Common
Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg: Erster Band