[44] Abstoßung und Anziehung, Vorgänge von Beschleunigung räumlich getrennter Körper, durch die deren Entfernung eine Vergrößerung oder Verminderung erfährt.
Diese Erscheinungen führen zur Annahme fernwirkender Kräfte, welche die Körper aufeinander ausüben. Die Abstoßung gleichnamiger, die Anziehung ungleichnamiger Magnetpole, oder gleichnamiger bezw. ungleichnamiger elektrischer Ladungen, das Gewicht der ruhenden Körper an der Erdoberfläche, dem wir durch die Gegenwirkung unsrer Muskelspannung das Gleichgewicht halten können, die wachsende Geschwindigkeit frei fallender und geworfener Körper nach unten, die fortdauernde Ablenkung der Planeten und Trabanten aus der dem Gesetz der Trägheit entsprechenden Bewegung in gerader Linie sind uns Belege für die magnetische und elektrische Fernwirkung und für die fernwirkende Kraft der Schwere und der allgemeinen Massenanziehung. Die Frage, ob es auch fernwirkende Kräfte gibt, die weder Abstoßung noch Anziehung, sondern Beschleunigung in zur Verbindungslinie der Körper senkrechter Richtung hervorbringen (Wirkung eines Stromteils auf einen Magnetpol), können wir um so mehr unentschieden lassen, als wenigstens für die elektrische und magnetische Fernwirkung seit Faraday die wesentliche Beteiligung des Zwischenmittels außer Zweifel steht und daher die Vorstellung unvermittelter Fernwirkung überhaupt gerechte Zweifel ihrer Berechtigung erweckt. Andrerseits ist es den scharfsinnigsten Bemühungen [1], [2] noch nicht einwandfrei gelungen, das »Rätsel der Schwerkraft« aus Druck- und Stoßwirkungen der Körper und des Weltäthers oder aus elektrischen Kräften im Einklang mit dem Gesetz von der Erhaltung der Energie zu erklären (vgl. die eingehende Kritik der verschiedenen Erklärungsversuche in [3]). Ueber die Gesetze dieser, wenn auch vermittelten Fernwirkungen s. Newtons Gesetz, Elektrizität, Magnetismus.[44] Außer diesen Fernwirkungen beobachten wir auch Nahwirkungen der Körper, die teils in Anziehung, teils in Abstoßung bestehen. Wird ein elastischer Körper gedehnt, so haben seine Teilchen das Bestreben, sich gegenseitig zu nähern, wird er gepreßt, so streben die kleinsten Teilchen, sich zu entfernen. Solche nahwirkende Kräfte nennt man Molekularkräfte und unterscheidet unter diesen die Kohäsion (s.d.), die Adhäsion (s.d.) und die chemische Anziehung, Affinität (s. Verwandtschaft, chemische). Als Beispiele vermittelter mechanischer Abstoßung und Anziehung von Körpern sind zu erwähnen: 1. Der in Fig. 1, 2 und 3 dargestellte Versuch mit auf Wasser schwimmenden Kugelpaaren aus hohlem Glas oder aus Kork. In Fig. 1 sind beide Kugeln vom Wasser benetzt und schwimmen infolge der Kapillaranziehung des Wassers gegeneinander; in Fig. 2 sind beide Kugeln befettet und schwimmen infolge der Kapillarabstoßung des Wassers ebenfalls gegeneinander; in Fig. 3 aber, wo die eine Kugel benetzt, die andre unbenetzt ist, bewirkt das entgegengesetzte kapillare Verhalten Abstoßung. 2. Die akustische Abstoßung und Anziehung, bestehend in der Anziehung oder Abstoßung leichter Körper gegen tönende Stäbe oder Platten, deren Ursache nach Dvorak eine kleine Druckerhöhung in den Knotenpunkten der stehenden Schallwellen ist.
Literatur: [1] Isenkrahe, Das Rätsel von der Schwerkraft, Braunschweig 1879. [2] Korn, A., Mechanische Vorstellungen über die sogenannten Fernwirkungen, Naturwissensch. Wochenschrift 1902, S. 330332. [3] Zenneck, J., Gravitation; Encyklopädie der mathem. Wissenschaften, Bd. 5, 2.
Aug. Schmidt.
Anziehung (Attraktion). Eine Kraft, die einem Punkte P eine Beschleunigung erteilt, deren Richtung fortwährend durch einen andern Punkt Q hindurchgeht, dem Punkte Q zugewandt, der Masse desselben und einer Funktion der Entfernung von Q proportional ist, heißt eine Anziehungskraft des Punktes Q; ist die Beschleunigung nicht von P nach Q hingewandt, sondern von Q nach P, also von Q abgewandt, so heißt sie eine Abstoßungskraft von Q. Es ist dabei nicht notwendig zu denken, daß der Punkt Q die Beschleunigung veranlaßt, vielmehr kann diese Veranlassung in irgend etwas anderm liegen; es genügt, daß die Kraft durch Q hindurchgehe und mit diesem Punkt verbunden gedacht werde. Wesentlich aber ist es, daß sie nur von der geradlinigen Entfernung PQ und nicht etwa von irgendwelchen Richtungsbestimmungen abhänge.
Ist daher μ die Masse von Q, r die Entfernung des Punktes P von Q, F (r) eine Funktion von r und ε ein Proportionalitätsfaktor, so ist die Beschleunigung im Abstande r von Q in jeder Richtung die von Q ausgeht
εμF (r)
und daher die auf P wirkende Anziehungskraft, wenn m dessen Masse ist,
mεμF (r);
im entgegengesetzten Sinne ist sie die Abstoßungskraft. Beide Arten der Kraft sind auf Kugeln um Q konstant. So ist z.B. für die Newtonsche Anziehungskraft (Gravitation) F (r) = 1/r2 und daher diese selbst
m (εμ)/r2,
d.h. dem Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional. Der Koeffizient ε bezeichnet die Beschleunigung, die im Abstande r = 1 bei der Masse μ = 1 erfolgt. Der Punkt Q, durch den die Beschleunigung hindurchgeht, heißt das Zentrum der Anziehung oder Abstoßung (wenn auch nur uneigentlich, da von einer Anziehung dieses Punktes im allgemeinen nur scheinbar die Rede ist).
Eine große Menge wertvoller Einzelsätze liefert die getrennte Behandlung der Reduktion der Anziehung homogener Punktsysteme. Hierher gehören die Sätze über die Anziehung einer homogenen Strecke, eines Kreisbogens, einer Kugelschale, einer Vollkugel, zweier Vollkugeln aufeinander, eines Ellipsoids auf einen Punkt, zweier Ellipsoide aufeinander u.s.w. (vgl. Schell, Theorie der Bewegung und der Kräfte, Bd. 2. S. 282 u. ff.).
Anziehungskräfte sind Funktionen des Ortes, unabhängig von der Zeit; deshalb können sie eine Kräftefunktion haben, d.h. es läßt sich für sie eine Funktion bilden, bloß abhängig von den Koordinaten des angezogenen Punktes, deren partielle Differentialquotienten, nach den Koordinaten genommen, die Komponenten der Anziehungskraft darstellen. Von dieser Funktion, die für die Newtonsche Anziehung von Gauß das Potential genannt wurde, kann die ganze Theorie der Anziehung und der Bewegung eines Anziehungskräften unterworfenen Punktes abhängig gemacht werden. Ist nämlich (vergl. die Figur) dm das Massenelement eines körperlichen Systems, durch dessen Punkte M (abc) Anziehungskräfte gehen, die auf einen Punkt P (yxz) von der Masse μ wirken, r der Abstand MP, so stellt εμF (r) dm die Intensität der Anziehungskraft dar, deren Richtung[45] durch den Punkt M geht.
Die Richtungscosinusse sind (ax) : r, (by) : r, (cz) : r und mithin die Komponenten dieser Anziehungskraft
Für den Fall der Abstoßung erhalten die Richtungscosinusse das umgekehrte Zeichen, das man aber mit dem Koeffizienten ε vereinigt denken kann, so daß ε als positiv für Anziehungen, dagegen als negativ für Abstoßungen gelten kann. Die Summen aller Komponenten, die den verschiedenen Massenelementen dm entsprechen, erhält man, indem man diese drei Ausdrücke durch die ganze Masse des Systems hindurch integriert, oder, wenn diese bloß auf diskrete Punkte verteilt ist, summiert. Die Summen oder Integrale stellen die Komponenten Χ, Υ, Z der Gesamtanziehung, die, von der Masse des Systems ausgehend, auf den Punkt P wirkt, d.h. die Komponenten der Kraft dar, mit der diese P angreift. Die Größen X, Y, Z sind alsdann zugleich die Komponenten der Kraft, die auf das System wirkt. Es ist demnach:
worin das Integralzeichen eine einfache, doppelte oder dreifache Integration anzeigt, je nachdem dm unendlich klein von der ersten, zweiten oder dritten Ordnung, d.h. das Massenelement einer Linie, Fläche oder eines Körpers ist. Nun ist und mithin
d.h. die Richtungscosinusse der Elementaranziehung sind die partiellen Differentialquotienten des Abstandes r nach den Koordinaten des angezogenen Punktes P mit entgegengesetzten Zeichen genommen. Hierdurch erhält man
Da man F (r) immer als den Differentialquotienten einer Funktion Φ (r) ansehen, nämlich
setzen kann, so ergibt sich
oder, wenn man
setzt,
Die Funktion U oder auch εμU nennt man die Kräftefunktion der von der Masse des Systems ausgehenden Anziehung in bezug auf den angezogenen Punkt. Sie ist eine Funktion bloß von den Koordinaten x, y, z dieses Punktes. Für den Fall F (r) = 1/r2, d.h. für die Newtonsche Attraktion nennt Gauß diese das Potential V der Masse in bezug auf den Punkt. Indessen brauchen viele Autoren diesen Namen auch für die Kräftefunktion andrer Attraktionsgesetze F (r). Das Gaußsche Potential ist wegen
Für die Attraktionskraft selbst, die mit P bezeichnet werden möge, hat man
sowie für Richtungscosinusse
Die Elementararbeit der Attraktionskraft P für eine Verschiebung ds des Punktes, an dem sie angreift, die mit P den Winkel δ bildet, hat man, weil X dx, Y dy, Z dz die Arbeiten ihrer Komponenten Χ, Υ, Z sind,
P cos δ ds = X dx + Y dy + Z dz,
oder vermöge obiger Formeln wegen
und
Die Elementararbeit ist daher das Differential der Kräftefunktion multipliziert mit εμ,. Vgl. a. Kräftefunktion und Potential, sowie in bezug auf Attraktions- und Repulsionskräfte überhaupt: Schell, Theorie der Bewegung und der Kräfte, II, Kap. 13.
(Schell) Finsterwalder.
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